- Wenn die Nacht schwindet, kommt das Licht
Liebe Freunde,
Liebe Kolleg*innen,
Gestern war Wintersonnenwende, die längste und tiefste Nacht des Jahres. Und gleichzeitig der Beginn eines neuen Jahres: das Licht der Sonne kommt jeden Tag früher, beleuchtet und wärmt diesen Planeten, auf dem gerade so vieles aus den Fugen gerät. Krise und Chance zugleich.
Die langen Schatten zweier Weltkriege
In unserer Arbeit mit den vielen Kriegskindern und Kriegsenkeln sind Philipp und ich auf eine einfache und erstaunlich wirksame Übung gestossen, die in der Dunkelheit dieser Zeit so hilfreich sein kann.
Unsägliches Leid – unsägliche Schuld – zweier Weltkriege lastete auf unseren Eltern. Manche konnten ihren Kindern nur das nackte Leben und als Überlebensstrategie Leistung und Anpassung mitgeben. Die Liebe, nach der sie sich selber gesehnt hatten – aber nicht bekommen konnten – erwarteten sie nun von ihren Kindern. Und die Klient*innen versuchten vergeblich, diese unausgesprochenen Erwartungen ihrer Eltern zu erfüllen und ihnen das zu geben, was sie früher gebraucht hätten – und hielten das für Liebe. Dabei verloren sie ihre Kraft, und ihre Achtung, gegenüber den Eltern, aber auch gegenüber sich selbst. Verbunden mit den Eltern durch das übernommene Leid konnten sie die Eltern – und das Leid – nicht loslassen, selbst wenn diese schon lange gestorben waren. So als müssten sie von ihnen noch etwas bekommen. So konnten die Eltern ihren Frieden nicht finden – und die Klient*innen nicht den Weg zu einem eigenen Leben in Fülle.
Ablösung durch das Nehmen (der Liebe) der Eltern
In der Aufstellung lernen die Klient*innen, sich aus den symbiotischen Verklebungen mit den Eltern zu befreien. Wenn sie erkennen, wie sehr übernommenes Leid ihnen den Zugang zu ihrem eigenen Selbst verstellt hat, das „seinen Wert und seine Würde in sich selber hat, wie eine Rose“, dann kann ihnen bewusst werden, dass auch ihre Eltern nicht verbunden waren mit ihrem Selbst, mit ihrem eigenen Wesenskern. Mit dem Teil, der eine bedingungslose tiefe Liebe zu seinem Kind spüren und zeigen kann. Dann sind sie bereit zu einer Übung.
Das Licht der Liebe erwecken
Sie nehmen ein Symbol für Mutters – oder Vaters – Selbst an ihr Herz (z.B. ein gelbfarbenes Klötzchen) und stellen sich vor, wie es ist, diese tiefe Liebe zu spüren, und dabei zu erfahren, dass sie es wert sind so geliebt zu werden. Und gleichzeitig spüren sie die eigene Liebe zu so einer Mutter – zu so einem Vater – vielleicht verbunden mit Achtung und Dankbarkeit.
Der Leiter: „Auch wenn du diese Liebe von deinen Eltern – und von dir zu deinen Eltern – nicht erleben konntest, beides gehört zu deinem Potential, unverlierbar und unzerstörbar.“
Nachdem eine Klient*in in dieser Weise die Liebe der Eltern genommen hat, fällt es ihr nicht mehr schwer, die Eltern und deren Leid loszulassen, und in ihr eigenes Leben der Fülle gehen.
Rückmeldung einer Klientin
Es ist immer wieder erstaunlich – und beglückend – zu sehen, wie stark das wirken kann! Auf die Klient*in, aber auch auf die ganze Familie. So als würden durch diese Erfahrung die verklebten Kanäle sich öffnen, durch welche die Liebe zu anderen – aber auch die Liebe zu sich (!) wieder fliessen kann.
Hier zitiere ich – mit der Erlaubnis von M. – aus ihrem Brief nachdem sie bei einem Online-Seminar teilgenommen hatte.
Am Sonntag war mein Sohn D. bei seinem Vater, genau an dem Tag, an dem ich am Therapie Seminar teilnahm. Abends teilte mir mit: als ich bei Papa war heute, hat er mich in den Arm genommen und ich musste ganz stark weinen wie noch nie und dann ist mir bewusst geworden, dass ich viel zu wenig Zeit mit ihm verbringe und ab jetzt viel mehr Zeit mit ihm verbringen will. (Er wollte nie zu seinem Vater bzw. ist sehr ungern zu ihm gegangen und wollte oft so schnell wie möglich wieder weg).
Danach war mein Exmann Abends hier bei ihm und kommt heute wieder und mein Vater hat auch seinen Besuch angekündigt und ich denke wir werden feiern!
Ich feiere vor allem D.s Mut und Tapferkeit!
D. sagte mir gestern auch, nachdem sein Vater gegangen war warum er nicht einschlafen kann – er braucht Nähe.
Wir begegneten einander neu, er stellte mir Fragen und ich ihm… Es ging unter anderem um die 4 Tugenden aus dem Film Mulan – Loyalität – Mut – Wahrhaftigkeit – den wir vor ein paar Tagen angesehen hatten…
Irgendwann sagte er: Mama – Ich habe heute soviel über dich erfahren! Und mir wurde klar – ich hatte mich bisher nicht gezeigt – ich spielte eine Rolle – ich war mehr Schein – als Sein. Ein Phantom! Nicht auf meinem Platz, nicht bei mir.
Ich kann dazu nur sagen – Ich bin heute Nacht meinem Kind begegnet- hab ihm zugehört und ihm seine Fragen beantwortet und ganz echt von mir erzählt… obwohl um 7.50 Uhr der Unterricht beginnt – ich und er schlafen müssten usw. Und immer dies und das- muss- usw.
Ich habe mich einlassen können – und das war sehr wichtig, das kann uns keiner mehr nehmen.
Irgendwann ist er dann ruhig und friedlich eingeschlafen.
Wir verlegen das jetzt auf gemeinsame Zeiten am Tag oder frühen Abend. Heute morgen fragte er, wann heute unsere Sprechstunde ist!
Mir kamen nach der Erfahrung in der Gruppe am Sonntag – die Tränen – Tränen aus einer tiefen Dankbarkeit – und ich fühlte mich erschöpft – wie schon lange nicht mehr – das alles – die Systemische Selbstintegration, die neue Erfahrung in der Gruppe – ist für mich in meinem Leben, wie wenn jemand die Brücke runterlässt – damit ich endlich nach langer Suche nach Hause kommen kann… Zu mir selbst! In ein neues Leben!
Und das nicht mal alleine, das war ja meine größte Angst, sondern langsam in dem Bewusstsein der Verbundenheit mit allen und allem was ist und ein sich Erinnern an das, was ich, was du, was wir alle sind oder sein könnten… In meinem Fall Schritt für Schritt…
Ich grüsse euch alle ganz herzlich
und bleibz xund!
Ero
(versendet: 22.12.2020)