Dr. Ernst R. Langlotz
abstract
Resilienz („psychische Widerstandsfähigkeit”) wird als eine personale Ressource betrachtet, die mit einer gesunden Entwicklung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen assoziiert ist.
Es wird ein Verfahren vorgestellt, die „systemische Selbst-integration”, welches mit Hilfe von Systemaufstellungen den Symbiosekomplex bewusst macht und Lösungsstrategien anbietet. Als zentraler Aspekt erweist sich dabei ein „unbewusstes verinnerlichtes Abgrenzungsverbot”, welches einen angeborenen „Schutzreflex” mindert oder blockiert.
Parallelen zum Konzept der Resilienz bzw. Vulnerabilität werden dargestellt.
Es wird die Hypothese vertreten und begründet, dass eine Einschränkung der Resilienz ( Vulnerabilität) als Folge eines erworbenen Symbiosemusters verstanden werden kann. Erste Messungen der Resilienz vor und nach einem Intensivseminar „systemische Selbst-Integration” scheinen diese Hypothese zu stützen, sie ergeben eine signifikante Besserung der Resilienz.
Daraus ergibt sich ein neues Modell der Resilienz, das systemische und dynamische Aspekte berücksichtigt. Konsequenzen für Resilienz- und Psychotherapieforschung werden erörtert.
RESILIENZ
Resilienz (lat. resilire ‚zurückspringen‘ ‚abprallen‘) kann mit psychischer Widerstandsfähigkeit übersetzt werden. Seit 60 Jahren wird der Begriff Resilienz für das Phänomen verwendet, daß manche Menschen durch äußere Belastungen, z.B. Verlust eines Angehörigen, Verlust des Arbeitsplatz, Krankheit, Unfall oder ein Erdbeben weniger aus ihrem Gleichgewicht kommen, als andere, die Monate oder länger unter Ängsten, Depressionen oder psychosomatischen Beschwerden leiden („posttraumatische Belastungsstörung”). Das Gegenteil von Resilienz wird als Vulnerabilität (Verletzbarkeit, lat. vulnerare, „verletzen”) bezeichnet.
Die Resilienzforschung beschäftigte sich zunächst mit der Entwicklung sogenannter „Risikokinder” und beschrieb Risiko- und Schutzfaktoren.
In letzter Zeit gewinnt der Begriff unter Systemischen Therapeuten an Interesse, weil er im Sinne der „Salutogenese” (lat. Salus = “Heilung” und griech. Genesis = “Entstehung”) den Blick des Therapeuten – und damit auch des Klienten – nicht so sehr auf das Krankhafte richtet, sondern die Aufmerksamkeit auf die inneren Ressourcen, auf das eigene Heilungspotential lenkt. Krankheit erscheint dann weniger als Defizit sondern als Überlebensstrategie. Das entspricht einem systemischen Verständnis. Selbst wenn diese Überlebensstrategie – wie meist – keine echte Lösung ist, sondern die Probleme fixiert oder gar verschlimmert, sie kann als kreative Leistung gesehen – und gewürdigt werden.
SYSTEMISCHES VERSTÄNDNIS VON AUTONOMIE UND SYMBIOSE
Autonomie (griech. autos, selbst, eigen und nomos, Gesetz) meint die Fähigkeit, selbstbestimmt, gemäss eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen leben zu können.
In der systemischen Therapie mit Klienten wird deutlich, dass diese Fähigkeit an folgende Bedingungen geknüpft ist:
Der Klient hat die Fähigkeit
einer innere Distanz (flexible Grenze) gegenüber Anderen, die es ihm erlaubt,
einen Kontakt zu anderen herzustellen, und dabei
bei sich selber zu bleiben, genauer: in Verbindung mit seiner eigenen Wahrnehmung, seiner Erinnerung, seinen Gefühlen, seinen Bedürfnissen. So kann er
zwischen Eigenem und Fremden unterscheiden. Er kann gleichzeitig
den Anderen als anders wahrnehmen, ihm
etwas Eigenes entgegensetzen und
sich wirksam gegenüber dem Anderen schützen.
So verstandene Autonomie ermöglicht eine eigene Identität, eigene Orientierung, eine Selbstregulation.
Bei allen (!) meinen Klienten fand ich eine Störung der Autonomie, bedingt durch das Symbiosemuster.
Durch eine modifizierte Form der Systemaufstellung (1,2,) ist es möglich, belastete Beziehungen zu Eltern oder einem Partner zu untersuchen. Dabei wird eine neue, systemische Sicht auf das bekannte Symbiosemuster möglich. Die verschiedenen Aspekte der Symbiose mit ihren unterschiedlichen Variationen werden sichtbar und dem Klienten bewusst.
Beispiel traumatisierte Eltern
Wenn z.B. die Mutter ihren Vater früh verloren hat, dann erwartet sie bisweilen, dass ein anderer ihr den fehlenden Vater ersetzt. Das kann sie daran hindern, ihren Sohn als Kind mit kindlichen Bedürfnissen wahrzunehmen. Der Sohn spürt Mutters Erwartungen und dass sie Ihn als Kind nicht anziehend und liebenswert findet, dass sie ihn nicht immer mit seinen kindlichen Bedürfnissen wahrnehmen kann. Um dennoch der Mutter nahe und für sie wichtig zu sein, gerät er unbewusst in die „falsche Rolle”, an den „falschen Platz”, so als könne er der Mutter das geben, was sie von ihrem Vater nicht bekommen konnte („Parentisierung” bzw. „Identifikation” mit dem früh verstorbenen Vater der Mutter). Er identifiziert sich mit Mutters erwartungen, entwickelt ein „falsches Selbst” (Winnicott). Um diese Rolle spielen zu können, muss er „erwachsen” sein, seine kindlichen Bedürfnisse, aber auch Frust und Groll unterdrücken. Das kann bis zu Selbst-Ablehnung und Selbst-Hass führen. Er passt sich auch hier Mutters Sichtweise, Mutters Bedürfnissen an. Um die (symbiotische) Verbindung mit der Mutter nicht zu verlieren, verrät er lieber sich selbst.
Wenn dieser Klient in einer Systemaufstellung Repräsentanten für z.B. die Mutter und die eigenen Selbstanteile (den freien, starken, unabhängigen Selbstanteil und den kindlichen Selbstanteil mit seiner Verletzlichkeit und Bedürftigkeit) aufstellt, wird deutlich, dass er der Mutter – und ihren Bedürfnissen – viel näher steht, als seinen eigenen Selbstanteilen.
Durch die Aufstellung wird dem Betroffenen zum ersten mal bewusst, wie sehr er durch diese „Überlebensstrategie” in seiner Wahrnehmung, in seinem Selbstbild verwirrt ist, und wie sehr diese Verwirrung auch später seine Beziehungen prägt.
Das betrifft mehrere Aspekte. Er neigt zu
Überanpassung, d.h. er passt sich zu sehr an andere und ihre Bedürfnisse an, macht sich von ihnen abhängig.
Selbst-Entfremdung, d.h. er unterdrückt eigene Wahrnehmungen, Bedürfnisse und Gefühle.
Aggressionshemmung, er kann das eigene – das er nur bedingt wahrnimmt – nicht gegenüber dem Anderen schützen, d.h. er unterdrückt seine eigene gesunde Aggression.
Wenn er jedoch sein aggressives Potential nicht auf gesunde konstruktive Weise einsetzen kann, staut es sich, wird destruktiv und richtet sich zerstörerisch gegen sein Selbst – oder gegen „unschuldige” Dritte. Depression, Verwirrung, psychosomatische Erkrankungen und destruktives Verhalten haben hier ihre dynamische Ursache.
Diese drei Aspekte könnte man als die drei Primäraspekte des Symbiosekomplexes bezeichnen. Hinzu kommen zwei weitere kompensatorische Aspekte, welche geeignet sind, das Erscheinungsbild des Symbiosemusters bis zur Unkenntlichkeit zu verändern.
Symbiotische Beziehungen sind immer brüchig, gefährdet. Um sich vor Manipulationen, Enttäuschungen und dem Verlassenwerden zu schützen, neigen die Betroffenen zu
Überabgrenzung, d.h. sie lassen sich auf Nähe gar nicht mehr ein, oder zu
Manipulationen, um nicht selber abhängig zu werden, versuchen sie den anderen von sich abhängig zu machen.
Die Verwirrung der Symbiose
Das Symbiosemuster läßt sich verkürzt beschreiben als eine Verwirrung:
der Klient richtet seine Aufmerksamkeit mehr auf eine andere Person als auf sich selber, so als „verwechsele” er eine andere Person mit seinem Selbstanteil.
der Klient identifiziert sich mit etwas Fremden, anstatt sich ihm gegenüber abzugrenzen, und
anstatt sich mit sich selbst zu identifizieren, grenzt er sich gegenüber dem Eigenen ab, als wäre es bedrohlich.
Diese beiden Dynamiken verstärken sich gegenseitig und machen aus dem Symbiosemuster eine Falle im Sinne eines Teufelskreises.
Als zentraler Aspekt des Symbiosekomplexes zeigt sich ein „verinnerlichtes unbewusstes Abgrenzungsverbot”, das sich erst auflösen lässt, wen es bewusst gemacht wird. Es löst sich nicht von selbst. Auch psychotherapeutische Verfahren tun sich daher schwer, dies Muster zu lösen.
Durch die geschilderte Form der Systemaufstellung lässt sich zeigen, dass ausser der hier erwähnten Konstellation traumatisierte Eltern auch andere frühe Beziehungskonstellationen zur Entstehung eines Symbiosemusters führen können, die wirksame Dynamik ist jeweils anders, das führt zu einer unterschiedlichen „Färbung” des resultierenden Symbiosemusters:
der frühe Verlust eines Elternteils, vor der Ablösungsphase der Pubertät: der Klient kann sich von diesem Elternteil nicht ablösen, kann nicht sicher unterscheiden, was zu ihm und was zu dem verstorbene Elternteil gehört, kann daher keinen eigenen Raum, keine Grenze aufbauen.
die Erfahrung von körperlicher oder seelischer Gewalt: hier war jeder Versuch, sich zu schützen, sich abzugrenzen, buchstäblich lebensgefährlich und daher verboten. Der Klient behält seine kindlichen Überlebensstrategien bei (Identifizierung mit dem Aggressor, Abspaltung „unerwünschter” Selbstanteile, Abgrenzungsverbot).
der frühe Verlust eines Geschwisters, bemerkenswerterweise auch eines „ungeborenen Geschwisters” ( Abgang, Fehlgeburt, Abtreibung ) bedingt häufig eine unbewusste Identifizierung mit diesem „kleinen Wesen” und seinem Schicksal, keinen Platz im Leben und in der Familie gefunden zu haben. Die Betroffenen übernehmen – wie aus einer bizarren unbewussten (!)Loyalität – dies Lebensgefühl, als wäre es ihr eigenes, oder als könnten sie nur so mit ihm verbunden bleiben. Sie können sich von diesem verstorbenen Geschwister nicht abgrenzen, sind mehr mit ihm verbunden, als mit ihrem Selbstanteil, „der lebendig, kraftvoll, erfolgreich und glücklich sein darf”. Als würden sie sonst ihr ungeborenes Geschwister verraten, das diese Chance nicht hatte.
SYMBIOSELÖSUNG DURCH „SYSTEMISCHE SELBST-INTEGRATION”
Nachdem der Klient in dieser Weise sein Symbiosemuster erkannt hat, kann er es im gleichen setting in einem strukturierten Lösungsprozess, unterstützt durch Rituale, bearbeiten.
Das soll am eingangs erwähnten Beispiel erläutert werden.
1. Lösen aus „falschen Plätzen”
Als erstes wird überprüft, ob der Klient für seine Mutter unbewusst fehlende Personen vertreten hat, indem er sich auf die jeweiligen Plätze stellt: in Mutters Rücken den früh verstorbenen Vater, eventuell auch an Mutters Seite den Partner, der real (Trennung? Tod?) oder emotional „nicht an ihrer Seite stehen konnte”. Kommen dem Klienten diese Plätze „bekannt” vor, wird ihm bewusst, dass er für die Mutter diese Rolle gespielt hat, dann kann er aus diesen „falschen” Plätzen buchstäblich aussteigen.
Bisweilen kann sich ein Klient „so gut in seine Mutter hineinversetzen, dass er sich auch an ihrem Platz besser auskennt als bei sich selber”. Er steht sozusagen „auf Mutters Boot”, vielleicht sogar als „Lotse” oder gar als „Kapitän”. Das fühlt sich zwar sehr verantwortlich und liebevoll an, aber es ist eine Illusion, die sich immer wieder als eine „mission impossible” herausstellt, an der er nur scheitern kann. Und der Preis für diese Illusion ist hoch: er kann nicht gleichzeitig auf „seinem eigenen Boot” stehen und schon gar nicht als „Kapitän”. Kein Wunder, wenn sein eigenes Boot in Seenot gerät, weil sich „der Kapitän auf dem falschen Dampfer” befindet.
Diese Verbindung von grandioser Selbstüberschätzung und der bedrückenden Erfahrung, das selbst gesteckte Ziel nicht einlösen zu können, trotz aller Anstrengung dabei zu versagen oder gar zu scheitern, ist ein zentraler dynamischer Aspekt des Symbiosemusters. Es ist verantwortlich für das brüchige Selbstgefühl der Betroffenen. Es kann auch als „antrainierte Inkompetenz” beschrieben werden.
Wenn dem Klienten diese Zusammenhänge bewusst werden, kann er sich entscheiden, aus diesem falschen Platz auszusteigen, die „mission impossible” aufzukündigen und endlich seinen eigenen, „richtigen” Platz einzunehmen. Das ist die entscheidende Voraussetzung für Identität. Erforderlich ist, dass er zur Mutter sagen kann: „Mutter das ist dein Platz, dein Schicksal! Du bist du und ich bin ich, du lebst dein Leben und ich meines, und mein Leben kann ganz anders sein als deines!
Dieser Schritt ist für manche schwer. Die Sätze klingen für manche verboten, lieblos, egoistisch! Sie beschreiben ein Gefühl, als würden sie dann die Mutter alleine lassen – oder als seien sie selbst für immer von ihr abgeschnitten. So als könnten sie sich selber nicht als getrennt von der Mutter wahrnehmen, als seien sie erst vollständig als Teil der Mutter – und umgekehrt! Als gäbe es für sie nur den gemeinsamen seelischen Raum mit der Mutter, als hätten sie nicht das Recht auf einen eigenen seelischen Raum!
Mit diesem unbewussten Verbot eines eigenen Raumes gibt es auch keine Grenze und keine Unterscheidung zwischen Eigenem und Fremden!
2. Rückgaberitual für übernommenes Fremdes
Nachdem der Klient seinen „falschen” Platz bei der Mutter aufgegeben und seinen „richtigen” Platz eingenommen hat, kann er zwischen sich und der Mutter unterscheiden. Er kann erkennen, was er von Mutters Last (Schicksal, Leid, Trauer, Schuldgefühle) übernommen hat, als wäre es seine eigene. Er kann sich entscheiden, das Übernommene, symbolisiert durch einen schweren Stein, dahin zurück zu geben, wo es eigentlich hingehört: zur Mutter.
Auch dieser Schritt fällt manchen Klienten schwer. Sie beschreiben das, als wäre es lieblos, undankbar, kalt, egoistisch. Als wären sie nur dann liebenswert, wenn sie für andere nützlich wären. Als bräuchten sie es, in dieser Weise von einem anderen gebraucht zu werden.
Es wird leichter, wenn sie sich bewusst machen, dass sie der Mutter nicht wirklich etwas von ihrem Schicksal abnehmen konnten, dass es nicht wirklich besser wurde, im Gegenteil, dass sie vielleicht dadurch ein Stück Achtung für die Mutter – und letztendlich auch für sich selber – verloren haben.
Bisweilen übernehmen Klienten auch z.B. von ihrer Mutter fremde Wertmassstäbe, fremde Einstellungen, als wären es ihre eigenen, oder als wären sie gewichtiger als die eigenen, als könnten sie dem nichts Eigenes entgegensetzen. Das macht sie extrem manipulierbar und verwundbar.
Auch dies übernommene Fremde können sie symbolisch durch einen schweren Stein der Mutter zurückgeben.
3. Annäherung an die abgespaltenen Selbstanteile
Nachdem der Klient in dieser Weise das übernommene Fremde abgeben konnte, spürt er zum ersten Mal Interesse an den Selbstanteilen, die er unterdrücken zu müssen glaubte, um seiner Mutter nahe sein zu können: den erwachsene, freien Selbstanteil und den kindlichen, bedürftigen. Die Stellvertreter dieser Selbstanteile stehen noch da, meist weit entfernt oder sogar hinter einem Paravent, wo sie der Klient zu Beginn aufgestellt hatte. Anfangs fühlten sie sich abgeschoben, nicht zugehörig. Im Laufe des Klärungsprozesses spürten sie immer mehr Interesse und Zugehörigkeit zum Klienten.
Diese Annäherung ist manchmal nicht einfach. Bisweilen behauptet der Klient gar, er kenne nicht seinen erwachsenen Selbstanteil, „der sich unbeschwert und frei fühlt, der es nicht braucht, gebraucht zu werden, dem es gut gehen darf, selbst wenn es der Mutter nicht gut geht”. Oder er findet diesen Teil gefährlich, weil manche ihn dann nicht mehr mögen könnten.
Nach einigem Überlegen fällt es ihm dann aber ein, dass er diesen Teil schon kennen gelernt hat – vielleicht „heimlich” – und dass er ihn in seinem Leben gut brauchen könne. Er kann spüren, wie es sich anfühlt, wenn er sich einmal „mit sich selber identifiziert” anstatt mit seiner Mutter! Ein gutes Gefühl!
Schwieriger ist bisweilen die Annäherung an den kindlichen Selbstanteil, bisweilen gibt der Klient – in Verkennung der Realität – diesem Teil die Schuld an seinen Problemen mit der Mutter oder schämt sich für dessen Bedürftigkeit und Verletzbarkeit.
Schliesslich erkennt er, dass dieser kindliche Selbstanteil – das „innere Kind” – sehr alleine, hilflos, verzweifelt, vielleicht auch wütend und voller Hass war, und dass es nur gebraucht hätte, wahrgenommen und in den Arm genommen zu werden.
„Weil dein kindliches Selbst soviel ausgehalten hat, konntest du gross werden. Könntest du ihm jetzt das geben, was es damals so dringend gebraucht hätte und nicht bekommen hat?”
Meist kann jetzt der Klient sein kindliches Selbst – den Stellverteter – in seine Arme nehmen. Wenn er dann sich mit seinen beiden Selbstanteilen verbindet, erlebt er sich – zum ersten mal? – als vollständig und ganz. Ein Gefühl der Ruhe, des Zu-sich-kommens. Er braucht nichts Fremdes mehr, um sich vollständig zu fühlen.
Wie kann er diesen Zustand aufrecht erhalten? Nur wenn er sich seinen eigenen seelischen Raum schafft, „in dem er ganz er selbst sein kann, unabhängig von dem, was andere denken oder erwarten!”
4. Abgrenzungsritual
Ist der Klient bereit, seinen eigenen Raum symbolisch gegenüber der Mutter – und dem von ihr übernommenen Fremden – zu schützen?
Die „Spielregel”: Die Stellvertreterin der Mutter nähert sich seiner Grenze – symbolisiert durch einen auf dem Boden liegenden Schal – und er darf sie entschieden und kraftvoll bei den Schultern anfassen und zurückschieben – natürlich ohne Verletzung.
Die meisten spüren da eine ausgeprägte innere Hemmung, ein Gefühle, als wäre das lieblos, verletzend, egoistisch, kurzum einfach verboten!
So als wäre ein angeborener Schutzreflex blockiert!
Dies Gefühl ist Ausdruck der symbiotischen Verwirrung. Solange sie sich nach diesem Gefühl orientieren, bleiben sie in der Verwirrung der Symbiose.
Wenn sie sich jedoch klarmachen, dass ihr innerer Raum die Voraussetzung für ihre Identität ist, und dass nur „das drin sein sollte, was drauf steht”, d.h. alles Fremde ausserhalb bleiben muss – so wichtig und wertvoll es auch sein mag – dann gelingt es ihnen, dieses Ritual entschieden und mit Kraft zu vollziehen.
Befreiung des blockierten Schutzreflexes
Und mit diesem Schritt geschieht eine entscheidende innere Veränderung: der Gesichtsausdruck, vorher resigniert und bedrückt, wird entspannt und strahlend. Die Haltung, vorher schlaff und gebeugt, wird aufrecht und kraftvoll. Das „innere Abgrenzungsverbot” erweist sich als der „Kristallisationskern” des ganzen Symbiosekomplexes mit seinen vielen Facetten. Das Abgrenzungsritual ist der Dreh- und Angelpunkt des Lösungsprozesses. So als würde ein Schalter umgelegt, als könne sich jetzt die lange gestaute und zerstörerisch nach innen gerichtete Aggression wieder auf gesunde, konstruktive Weise nach aussen entladen.
So, als würde der blockierte Schutzreflex wieder befreit.
Verständlich, dass auch die „Mutter” ihren Sohn – jetzt endlich! – so mag wie er wirklich ist!
Das hätte er sich nie gedacht.
Seine – unbewussten – Überlebensstrategien haben nichts besser gemacht, im Gegenteil, sie haben es der Mutter noch schwerer gemacht, ihn als ihren Sohn, als ihr Kind wahrzunehmen.
Durch den Prozess der „systemischen Selbst-Integration” hat der Klient die Fähigkeit gewonnen, sich innerlich gegenüber der Mutter abzugrenzen, einen eigenen inneren Raum zu entwickeln. Das ermöglicht es ihm, sich zum ersten mal als identisch mit sich selbst, als selbstbestimmt und handlungsfähig zu erleben. Er hat sich befreit aus der Falle der Symbiose. Er hat sich verabschiedet von den unmöglichen Aufträgen – und von den damit verbundenen Grössenfantasien – aber auch von den dadurch bedingten Erfahrungen des Versagens, der Selbstzweifel, des Selbst-Hass.
Er hat die Achtung wieder gewonnen, für seine Mutter – und für sich selbst.
HYPOTHESE: SYMBIOSE ALS RISIKOFAKTOR FÜR ERHÖHTE VULNERABILITÄT?
Es stellt sich die Frage:
Inwieweit entspricht Resilienz als angeborene Ressource dem „Schutzreflex”, und Vulnerabilität der erworbenen Blockade dieses Schutzreflexes?
Ist vielleicht das Symbiosemuster – bzw. sind die Symbiose auslösenden Beziehungskonstellationen die entscheidenden Risikofaktoren, welche die Resilienz mindern oder blockieren, welche die Entwicklung von Resilienz beeinträchtigen?
Im Folgenden soll erörtert werden, inwieweit
1. Ergebnisse der Therapie,
2. der Resilienzforschung und
3. der Resilienzmessung
diese Hypothese unterstützen können.
1. Therapeutische Symbioselösung und Gewinn an Resilienz
Im Prozess der „systemischen Selbst-Integration” kann sich ein Klient entscheiden,
1. die unbewusst für die Mutter übernommen Aufträge („missions impossibles”) zurückgeben, die ihm ein brüchiges Selbstbild, die Mischung von Selbstüberschätzung und Versagens-Schuld beschert haben, „erlernte Inkompetenz”.
2. seinen eigenen Platz einzunehmen, und sich als getrennt von seiner Mutter wahrzunehmen, und zwischen dem Eigenen (Schicksal, Gefühle, Bedürfnisse) und dem der Mutter zu unterscheiden,
3. der Mutter das Ihre zurückzugeben, das er übernommen hatte, „als sei es sein Eigenes”,
4. sich mit den eigenen abgespaltenen Selbstanteilen, dem erwachsenen und dem kindlichen Selbstanteil wieder verbinden, und schlussendlich
5. seinen eigenen Raum gegenüber der Mutter entschieden und kraftvoll zu schützen.
Die Schritte 1-3 ermöglichen dem Klienten unterscheidende Wahrnehmung als Voraussetzung für Identität, Orientierung und gezieltem erfolgreichen Handeln, im Sinne eines selbst-bestimmten Lebens (Autonomie!). So kann er angemessene Verantwortung für Eigenes übernehmen, statt unangemessener „angemaßte” Verantwortung für Fremdes- mit der unvermeidbaren Erfahrung des Versagens. So kann er „persönliche Kompetenz” erwerben und die Erfahrung machen, handlungsfähig zu sein.
Der Schritt 4 ermöglicht ihm, sich mit sich selbst identisch zu fühlen – anstatt z.B. mit seiner Mutter. Das ist „Akzeptanz des Selbst, des Lebens” – und mehr!
Der Schritt 5 ermöglicht es ihm, seinen inneren Raum zu schaffen, in dem er er selbst sein und bleiben kann, unabhängig davon, was andere von ihm denken oder erwarten. Er macht die Erfahrung, dass er sich wehren kann – wenn er es sich erlaubt, trotz des Gefühls des Verbotes!
So als würde ein blockierter Selbstschutz-Reflex wieder befreit.
Gleichzeitig öffnet sich in der Abgrenzung der gesunde Kanal für seine angestaute – und destruktiv gewordene – Aggression. Das mindert sein destruktives Potential.
Ein Fallbeispiel soll die rasche und nachhaltige Wirkung dieser Intervention verdeutlichen.
Fallvignette
Julia, eine vitale, attraktive 35-jährige Geschäftsfrau kommt zu einer Einzelberatung. Ihre Mutter war sehr traumatisiert und sie möchte ihre Beziehung zu ihr klären.
Es zeigt sich schnellt, dass sie für die Mutter früh verlorene Angehörige vertreten hat und dass sie „auf Mutters Boot” ist, getrennt von ihren eigenen Selbstanteilen, dass sie daher ein massives Abgrenzungsverbot gegenüber der Mutter hat.
Im Prozess gelingt ihr schrittweise die Lösung der symbotischen Verschmelzung mit der Mutter und die Annäherung an die bisher abgespaltenen Selbstanteile. Sie ist in der Lage, das unbewusste Abgrenzungsverbot zu lösen und die „Mutter” – repräsentiert durch den Therapeuten – mit Kraft und Entschiedenheit zurückzuschieben.
Sie ist sehr erleichtert.
Beim nächsten Termin nach zwei Wochen erzählt sie, wie sich die Aufstellung ausgewirkt hat.
Vor Monaten war sie bei bei einer wichtigen Person des öffentlichen Lebens eingeladen und von ihm nur als „die frühere Partnerin von Herrn XY” vorgestellt worden. Sie hatte diese Kränkung schweigend hingenommen.
Nach dem letzten Termin war sie wieder bei der selben bekannten Persönlichkeit eingeladen. Noch bevor er sie vorstelle konnte, stand sie vor ihm und sagte ihm: „wenn du mich noch einmal nicht mit meinem Namen vorstellst, werde ich dir so auf deinen Fuss treten, dass du drei Tage an mich denken wirst!”
Sie selbst war überrascht von ihrer eigenen spontanen Reaktion. Der Gastgeber noch viel mehr!
Und sie hatte vollen Erfolg!
Anscheinend wirkte sich ihr Abgrenzungsverbot auch auf berufliche Beziehungen aus. Durch die Aufstellung war offenbar die Blockade ihres „Schutzreflexes” gelöst worden, so dass er ihr wieder ganz zur Verfügung stand!
Auch in einer beruflichen Beziehung!
2. Beobachtungen der Resilienzforschung
Emmy E. Werner und ihr Team (1) hat in einer Langzeitstudie die Entwicklung von 698 Kinder beobachtet, die 1955 auf der hawaiischen Insel Kauai geboren wurden. Psychologen, Kinderärzte, Krankenschwestern und Sozialarbeiter prüften die Entwicklung im Alter von 1, 2, 10, 18, 32 und 40 Jahren. 210 von ihnen waren in ihrer frühen Kindheit erheblichen Risikofaktoren ausgesetzt, ein Drittel von ihnen entwickelten sich dennoch sehr gut. Bei diesen „resilienten” Kindern fand sie drei Arten von Schutzfaktoren: 1. individuelle günstige Persönlichkeitsmerkmale, 2. familiäre Schutzfaktoren und 3. Schutzfaktoren des Umfeldes. Unter 2. und 3. beschreibt sie, dass es den Betroffenen gelang, innerhalb oder ausserhalb der Familie „schon früh eine enge Bindung zu mindestens einer kompetenten, emotional stabilen Person zu entwickeln, die auf die kindlichen Bedürfnisse sensibel einging. (2)
Sie folgert, „dass persönliche Disposition und Quellen sozialen Rückhalts gemeinsam zur Resilienz beitragen” (2, S. 30)
Was bedeutet das für den Zusammenhang Symbiose und Resilienz?
Für die Entwicklung der Resilienz ist es offenbar wichtig, dass ein Kind früh erlebt, dass seine Bedürfnisse und Gefühle von einer vertrauten Bezugsperson wahrgenommen und akzeptiert werden. Nur dann kann es selbst seine Gefühle und Bedürfnisse wahrnehmen und annehmen. Nur dann kann es sich mit seinem „Selbst” identifizieren.
Kinder können nicht anders, als sich mit dem zu identifizieren, was ihre Bezugspersonen in ihnen sehen. Wenn traumatisierte Eltern in ihrer Bedürftigkeit vom Kind etwas erwarten, dass sie von früh verstorbenen Angehörigen nicht bekommen konnten, dann identifizieren sich Kinder mit diesen Erwartungen, entwickeln eine falsche Identität, ein „falsches Selbst”. Ihr „innerer Raum” ist von diesem „falschen Selbst” „besetzt”. Für ihr eigenes Selbst gibt es keinen Raum. Für ihre „falsche Identität”, die wenigstens eine illusionäre Bindung an den Elternteil ermöglichen, wären die eigenen Selbstanteile sogar gefährlich, deshalb müssen sie unterdrückt, abgespalten werden.
Das ist die Verwirrung der Symbiose: Anstatt mit sich selbst identifiziert sich der Betroffene mit etwas Fremden. Und statt sich gegenüber dem Fremden abzugrenzen, unterdrückt er das Eigene, als wäre es bedrohlich.
Wenn traumatisierte Eltern ihr Kind nicht als abgegrenztes autonomes Wesen wahrnehmen können, dann genügt es offenbar, wenn es andere Bezugspersonen gibt, die in dem Kind das Besondere, das Einmalige, das Liebenswerte entdecken. Dann kann das Kind diesen Teil von sich wahrnehmen und sich damit identifizieren.
3. Was trägt eine Messung der Resilienz zur Bestätigung der Hypothese bei?
Lässt sich der vermutete Zusammenhang zwischen Symbiose und Vulnerabilität/Resilienz durch Messung der Resilienz vor und nach der Symbiose-lösenden Intervention wahrscheinlich machen?
Bei meiner Suche nach einem geeigneten Messinstrument stiess ich auf die Resilienzskala RS 11.
Es gibt seit 2004 die deutsche Fassung einer in USA von Wagnild und Young entwickelten Resilienz-Skala mit einer Kurzversion (RS 11 bzw. RS 13), die sich als Selbstbeurteilungsfragebogen einsetzen lässt. (Kurzform (RS-11) von Schumacher, K. Leppert, T. Gunzelmann, B. Strauß und E. Brähler (5) Die Autoren verstehen Resilienz als eine personale Ressource, die mit einer gesunden Entwicklung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen assoziiert ist.
Der Fragebogen umfasst 11 Items (RS-11) die sich auf zwei faktorenanalytisch konstruierte Skalen verteilen: In der Skala „Persönliche Kompetenz” (9 Items) werden Merkmale wie Selbstvertrauen, Unabhängigkeit, Beherrschung, Beweglichkeit und Ausdauer zusammengefasst (Beispielitems: „Wenn ich Pläne habe, verfolge ich sie auch.”, „In mir steckt genügend Energie, um alles zu machen, was ich machen muss.”). Mit der Skala „Akzeptanz des Selbst und des Lebens” (RS-Akz; 2 Items) werden Merkmale wie Anpassungsfähigkeit, Toleranz, flexible Sicht auf sich selbst und den eigenen Lebensweg erfasst (Beispielitems: „Ich mag mich.”, „Ich nehme die Dinge, wie sie kommen.”) Die Items müssen auf einer siebenstufigen Antwortskala beantwortet werden, die von 1 = „ich stimme nicht zu” bis 7 = „ich stimme zu” reicht. Die Auswertung erfolgt durch Summation der Itemrohwerte, wobei ein hoher Score für eine hohe Merkmalsausprägung im Sinne von Resilienz steht. Mittelwert (M) 58,03, Standardabweichung (SD) 10.76.
Vorläufige eigene Messergebnisse
45 Probanden, die an einem Seminar „systemische Selbst-Integration” teilnahmen, haben den Fragebogen vor und nach dem Seminar ausgefüllt.
Die ersten Ergebnisse sind bemerkenswert.
Der Durchschnittswert der 45 untersuchten Teilnehmern betrug
54,24 am Anfang gegenüber 60,51 am Ende des Intensivseminars.
Für 13 (von den 45 Gesamtteilnehmern) Teilnehmer, die am Anfang einen niedrigen Wert ( unter 48) hatten lag der Durchschnitt bei Beginn bei 43,38, am Ende bei 53,92. Es scheint, dass die Klienten mit geringer Resilienz durch die „systemische Selbst-Integration” einen grösseren Zuwachs an Resilienz erfahren als Klienten mit Resilienszwerte im Durchschnittsbereich!
Könnte das dafür sprechen, dass durch die „systemische Selbstintegration” in kurzer Zeit eine signifikante Veränderung der mit der Resilienz-Skala gemessenen Resilienz möglich ist?
Das Ergebnis bedarf natürlich einer Überprüfung mit einer grösseren Stichprobe und einer dritten Messung nach etwa 3 oder 6 Monaten, um zu sehen, ob die Veränderung anhält.
Streng genommen wäre auch eine Kontrollgruppe mit ähnlichem Design erforderlich. Das ist einmal in der Einzelpraxis nicht möglich, zum anderen ist den Klienten der Kontrollgruppe ein gleicher Zeitaufwand mit gleichem Honorar für eine „Plazebointervention” nicht zumutbar.
ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
Resilienz als seelische Widerstandskraft wird durch persönliche Disposition („Retrait”) und durch „Risiko- und Schutzfaktoren” im Sinne unterstützender Beziehungserfahrungen beeinflusst.
E. E. Werner (4, S.32) beschrieb als „Schutzfaktoren der Familie und des Umfeldes” frühe emotional stabile Bezugspersonen, die auf die kindlichen Bedürfnisse sensibel eingehen konnten.
Auf Grund eigener therapeutischer Erfahrungen wird ausgeführt, dass das weit verbreitete Symbiosemuster mit einer erhöhten Vulnerabilität bzw. einer verringerten Resilienz einhergeht. Als zentrales unbewusstes Element des Symbosemusters erweist sich ein „unbewusstes Abgrenzungsverbot”. Dadurch scheint der „Selbstschutzreflex” blockiert zu sein.
Dieser Selbstschutzreflex könnte einem zentralen Aspekt der Resilienz entsprechen.
Das Symbiosemuster kann als erworbene Blockade einer „Retrait-Resilienz” – und damit als der entscheidende „Risikofaktor” – verstanden werden.
Möglicherweise lässt sich Resilienz auch durch eine geeignete Symbiose-lösende therapeutische Methode wie z.B. die „systemische Selbst-Integration” verbessern.
Erste, vorläufige Messungen mit der Resilienzskala RS11 stützen diese Auffassung.
Daraus ergeben sich Fragen für die Resilienz- aber auch für die Psychotherapieforschung:
Kann der „Selbstschutzreflex” – die Fähigkeit sich selbst zu schützen – und die Aspekte eigener seelischer Raum, Distanz (Grenze) zum Fremden (Belsatenden) und Verbindung mit dem eigenen (Selbst) als zentrale Elemente der Resilienz verstanden werden?
kann der Symbiosekomplex – mit den Aspekten „unbewusstes Abgrenzungsverbot”, Tendenz zu Überanpassung, Selbst-Entfremdung und Blockade de gesunden Aggression – als entscheidender Risikofaktor der Resilienzentwicklung betrachtet werden?
bedeutet dann Resilienz dementsprechend die Fähigkeit, einen eigenen seelischen Raum zu haben, und sich abgrenzen und mit den eigenen Selbstanteilen identifizieren zu können?
Kann man dann Resilienz (eigener Raum, Abgrenzung und Selbst-Verbindung) als angeborene Ressource sehen, die als Potential nicht verloren geht, selbst wenn sie durch das erworbene Symbiosemuster überlagert bzw. blockiert wird?
Wie wirken sich andere Therapieverfahren, die ebenfalls das Symbiosethema bearbeiten, auf die Resilienz aus?
Durch die geschilderte Methode der „systemischen Selbstintegration” lassen sich andere frühe Beziehungkonstellationen als Ursache eines Symbiosemusters nachweisen:
1.früher Verlust eines Elternteils oder einer Bezugsperson,
2.Erfahrung von seelischer und körperlicher Gewalt,
3.Verlust eines Geschwisters, auch eines ungeborenen.
Alle Teilnehmer meiner Seminare weisen wenigstens eine dieser frühen Beziehungkonstellationen auf.
Können diese Konstellationen auch zu eine Minderung der Resilienz führen?
Diese Überlegungen ermöglichen es, ein neues Modell der Resilienz zu skizzieren, dass systemische und psychodynamische Aspekte integriert.
EIN SYSTEMISCH- PSYCHODYNAMISCHES MODELL DER RESILIENZ ?
Mir scheint, dass Resilienz als eine angeborene Ressource verstanden werden kann, die man nicht verlieren kann, die aber durch bestimmte „Risikofaktoren” blockiert bzw. ausser Funkton gesetzt werden kann.
Damit Resilienz “funktioniert”, braucht sie die Elemente “innerer
geschützter Raum” bzw. “flexible Grenze”, nur so ist eine Unterscheidung
zwischen Fremden und Eigenen und Identifizierung mit dem Eigenen und
aktive Abgrenzung gegenüber dem traumatisierenden Fremden möglich.
Terapeutischen Erfahrungen zeigen: Ein Symbiosemuster kann durch spezifische belastende frühe Beziehungs-Erfahrungen ausgelöst werden. Die Betroffenen, als Kinder hilflos und abhängig, neigen dazu, sich mit dem destruktive Fremden zu identifizieren und die gesunden Selbstanteile abzuspalten, als seien sie gefährlich. (“Verwirrung der Symbiose”). Abgrenzung wird als verboten erlebt, der “Selbstschutz-Reflex” ist blockiert. Dann kann Resilienz nicht mehr “funktionieren”. Diese „Überlebensstrategie” des Kindes wirkt unbewusst weiter und prägt die Wahrnehmung, die Identität, die Handlungsfähigkeit des Betroffenen – solange sie unbewusst bleibt.
Wenn es durch therapeutische Interventionen gelingt, dem erwachsenen (!) Klienten diese Zusammenhänge bewusst zu machen, sodass er sich schrittweise wieder für seinen “inneren geschützten Raum”, für seine Grenze, für die Unterscheidung zwischen Eigenem und Fremden, und aktiven Abgrenzungsfähigkeit entscheiden kann – trotz verinnerlichtem Verbot! – dann kann Resilienz wieder funktionieren.
Anders gesagt, Resilienz ist eine unverlierbare Option, die jedoch
bestimmte “strukturelle” Merkmale der Person erfordert (Innerer Raum, Grenze, Fähigkeit der Abgrenzung), um „arbeiten” zu können.
Dr. med. Ernst R. Langlotz, München, Praxis für Psychiatrie, Systemische Familientherapie.
LITERATUR
1) Ernst R. Langlotz , “Maligne Symbiose und Autonomiestörung als entscheidende Ursache von Stress, Krankheit und destruktivem Verhalten (Teil 1)” (S. 46) in Systemische Aufstellungspraxis 2006 Heft 2
2) Ders. “Maligne Symbiose und Autonomiestörung als entscheidende Ursache von Stress, Krankheit und destruktivem Verhalten (Teil 2)” (S. 28) und “Finden, was wirkt – Effizienzprüfung” (S. 37) in Systemische Aufstellungspraxis 2006 Heft 3
3) Werner, E.E. and R.S. Smith (1992): Overcoming the odds, High risk children from birth to adulthood. Ithaca,NY(Cornell University Press)
4) Werner, E.E. (2006, 2010): Wenn Menschen trotz wiedriger Umstände gedeihen – und was man daraus lernen kann, in R. Welter-Enderlin, Bruno Hildenbrand (Hrsg.) Resilienz – Gedeihen trotz wiedriger Umstände, (Carl Auer)
5) Jörg Schumacher, Karena Leppert, Thomas Gunzelmann, Bernhard Strauß und Elmar Brähler, Die Resilienzskala – Ein Fragebogen zur Erfassung der psychischen Widerstandsfähigkeit als Personmerkmal, (2005) in Z f Klinische Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie
6) Ernst R. Langlotz, “Symbiosemuster in systemischer Sicht, “Sippengewissen” oder kollektive Symbiose” in Systhema, (2009) Heft 2, Zeitschrift des Instituts für Familientherapie e.V. Weinheim