INSTITUT SYSTEMISCHE SELBST-INTEGRATION LANGLOTZ-KUTZELMANN

  • Instinkt-Verlust – Voraussetzung für homo „sapiens“?
    Oder Gratis-Abbonnement für Selbstzerstörung?


Liebe Freunde,
liebe Kolleg*innen,

Heute möchte ich mit euch über den gesunden Instinkt meditieren.
Anlass dazu gibt mir ein neues Buch des bekannten Försters Peter Wohlleben: Unser wildes Erbe, Wie Instinkte uns steuern und was das für unsere Zukunft bedeutet-faszinierende Einsichten für ein Leben im Einklang mit der Natur.

Eindrucksvoll, wie kenntnisreich er Bespiele für frühere Krisen in der Entwicklungsgeschichte des Lebens schildert, um dann die heutigen Menschen gemachten Krisen und den entscheidenden Unterschied zu den früheren Krisen prezise zu beschreiben.
Seine Schlussfolgerung: die entscheidende Ursache für diese aktuell eskalierende Selbstzerstörung bestehe darin, dass der Mensch sich nicht mehr nach seinem gesunden Instinkt orientiert, der das Überleben der Spezies als Ziel hat, sondern nach einem Verstand, der insofern verwirrt ist, da er zulässt, dass eine Macht-Elite rücksichtslos die Natur, die Tiere, andere Menschen benützt und ausbeutet, um die eigene Macht zu vergrössern, auf Kosten aller Anderen.

Das Verhalten von Tieren wird durch Instinkte bestimmt, die vom Stammhirn gesteuert werden, Reflex-artig und natürlich unbewusst. Diese Instinkte sind in der Regel angepasst an die jeweilige Umwelt und ermöglichen ein Überleben auch unter extremen Umweltbedingungen. Diese Instinkte sind zum größten Teil angeboren, man könnte sie als primäre Instinkte bezeichnen. Veränderungen der Umwelt bewirken jedoch eine Anpassung dieser Instinkte, um das Überleben der Spezies zu gewährleisten. Diese erlernten Instinkte könnte man als sekundäre Instinkte bezeichnen. In der Regel ergänzen oder modifizieren sie die primären Instinkte.

Die Spezies Homo sapiens fühlt sich den Tieren überlegen, in der Annahme, sie würde sich nicht nach unbewussten Instinkten, sondern nach ihrer Einsicht, nach ihrem Verstand orientieren.
Ein Blick auf die aktuellen Krisen zwingt uns zu der Vermutung, dass es sich hier um eine magisch-gigantische (!) Fehleinschätzung handelt.

Hat auch der Mensch einen angeborenen gesunden Instinkt? Wenn ja wieso hat er ihn verloren?

In meiner Arbeit erlebe ich immer wieder das Glück meiner Klienten, wenn sie sich von ihrem alten Trauma-bedingtem Stressmuster befreien. Sie erkennen alles ICH-Fremde, nach dem sie sich bisher orientiert haben, als unvereinbar mit der eigenen Würde, und entfernen es entschieden aus ihrem Identitätsraum. So wird ihre „Innere Mitte“ frei, und sie können sich mit ihrem Wesenskern verbinden.
Wenn sie dann – bisweilen schon bei der ersten Sitzung – spüren, dass sie veschmelzen können mit diesem inneren Wesenskern dass sie eins werden mit diesem „göttlichen Funken in uns“ (C.G.Jung) dann erleben sie körperliche Veränderungen: sie richten sich auf, sie fühlen sich frei, eine innere Weite wird spürbar, eine Wärme, bisweilen ein Licht, auch eine innere „Leere“ – die für manche ungewohnt, vielleicht sogar ängstigend sein kann. Sie spüren Ruhe, Stille, eine ungewohnte innere Sicherheit. Manche drücken es so aus: ja so ist das endlich in Ordnung, jetzt bin ich zuhause angekommen.
Die meisten haben dieses Glücksgefühl – oder zumindest eine Ahnung davon – schon einmal erlebt, in der Natur oder weit weg von zuhause, in Indien oder im australischen Outback. Es ist meist flüchtig, aber unbewusst ahnen sie von diesem Glück, und sehnen sich danach, es zu erleben.

Was hat das mit Instinkt zu tun?

Ein Kind ist existentiell angewiesen auf die Liebe der Eltern, unabhängig von Bedingungen oder Absichten, um sich selber als liebens-wert zu erleben. Nur so kann es einen „intrinsischen“ Selbstwert entwickeln. Diese existentielle Bedürfnis ist wie ein angeborener Instinkt. Er bewirkt unbewusst, dass es verzweifelt versucht, die Liebe der Eltern zu erfahren, koste es was es wolle.

In der Tierwelt sehen wir, dass Tiereltern instinktiv ihren Jungen diese bedingungslose Zuwendung und Fürsorge schenken.
In der menschlichen Familie ist dieser Instinkt der bedingungslose Liebe jedoch unterdrückt oder überformt, und das seit Jahrtausenden.
Bereits vor 2300 Jahren formulierte der griechische Dichter Menander: „Der Mensch wird nur erzogen, indem er geschunden wird!“
Die angebliche „Liebe“ ist nicht frei von Absicht und Bedingungen, sie wird missbraucht, um ein „erwünschtes Verhalten“ zu erzeugen. Dressur zu Gehorsam und zu der Bereitschaft, sich benutzen zu lassen.
Die meisten Eltern haben eine derart autoritäre Erziehung zu Gehorsam und Leistung erlebt und konnten daher kein gesundes, „intrinsisches“ Selbstwertgefühl entwickeln. Da sie selber als Kind keine bedingungslose Liebe erlebt haben, können sie diese auch nicht ihrem Kind geben. Statt dessen versuchen sie, auch ihr Kind zu Gehorsam und Leistung zu erziehen, damit es später Erfolg hat in dieser Gesellschaft. Zusätzlich belasten sie das Kind durch eigenes Trauma und durch die Traumen ihrer eigenen Eltern.

Wenn ein Kind spürt, dass es diese bedingungslose Liebe nicht bekommt, wenn es sich spontan zeigt, so wie es ist, erzeugt das einen tiefen Schmerz und ein Gefühl, nicht „richtig“, sondern „falsch“ zu sein. Diesen Schmerz darf es jedoch nicht zeigen.
Sein instinktives Bedürfnis, geliebt, oder zumindest wahrgenommen zu werden, um zu überleben, bewirkt reflexhaft, dass es ein „falsches Selbst“ entwickelt. (Winnikott)
Dazu lernt es, dies angeborene instinktive Bedürfnis nach Liebe zu unterdrücken, dazu auch andere Bedürfnisse, sein Gefühle, auch seine Überzeugungen, sobald diese von den Eltern ignoriert, abgelehnt oder gar als falsch oder böse abgewertet werden.
Statt dessen lernt es unbewusst die Bedürfnisse und Erwartungen der Eltern zu erspüren, und sich selber dafür verantwortlich zu fühlen. So hat es die magisch-grandiose Illusion, wertvoll zu sein, indem es für die Eltern nützlich oder unentbehrlich ist. („Helfer-Syndrom“ oder „Retter-Rolle“)

Dieses Überlebensprogramm ermöglichte die Anpassung an eine existentiell bedrohliche Familie und wurde daher unkorrigierbar gespeichert, im Stammhirn. Man könnte das als sekundären Instinkt bezeichnen, der unbewusst auch später das Erleben und Verhalten des Erwachsenen bestimmt.
Aber dieser sekundäre Instinkt wird zum Stressor.
Anders als bei den Tieren ist dieser sekundäre Instinkt unvereinbar mit dem gesunden primären Instinkt. Dieser wurde ja nur unterdrückt und nicht gelöscht. Dass erzeugt inneren Stress: Zerrissenheit, Schuldgefühle, Verwirrung, Resignation und Lähmung.

Zum anderen war dieser sekundäre Instinkt angepasst an die emotional- defizitäre Realität eines hilflosen, bedürftigen Kindes. Er ist starr und unkorrigierbar, und ungeeignet, die Herausforderungen eines Erwachsenen zu bewältigen. Die dadurch bedingte „Anpassungsstörung“ (das ist eine psychiatrische Diagnose!) ist die Ursache vieler Probleme, ist die Ursache für einen „äusseren Stress“.

Der Betroffene fühlt sich dafür noch schuldig und entwickelt Vermeidungs- oder Kompensations-Strategien. So entsteht eine „Stresskaskade“ (Hensel). Dem Betroffenen selber ist der Zusammenhang mit seinen frühen Beziehungstraumen nicht bewusst. Das verstärkt noch seine Tendenz zur Selbst-Abwertung.
Abgeschnitten von seinem „gesunden Kompass“ – dem primären Instinkt – und immer wieder enttäuscht von seinem „falschen Kompass“ (Überlebensprogramm) suchen die meisten Halt, indem sie sich an „Autoritäten“ orientieren : vorauseilender Gehorsam.
Milgram hat in seinem bekannten Experiment die Verbreitung des Autoritätsgehorsams nachgewiesen. Er beschreibt auch das Phänomen der inneren Zerrissenheit durch moralische Schuldgefühle bei den „Gehorsamen-Reagierenden“- das sie jedoch nicht an ihrem „Gehorsam“ hindern konnte.

Narzisstische Populisten

Eine Minderheit der Betroffenen perfektioniert ihre magisch-grandiosen Strategien so sehr, dass es ihnen gelingt, wenn schon nicht die Liebe so zumindest den Respekt von vielen zu erwerben. Durch (unhaltbare) Versprechungen, durch (fragwürdige) „Geschenke“ gewinnen sie zunehmend an Macht. Und diese angemaßte Macht missbrauchen sie, um noch mehr Menschen zu gewinnen, abhängig zu machen, zu benutzen, sie auszubeuten. So vergrößern sie die eigene Macht- auf Kosten der Anderen, auf Kosten der Natur und der Umwelt.
Diese „malignen Narzissten“ geraten gerade an immer mehr Schalthebel der Macht, unterstützt von den resignierte und verzweifelten Mehrheiten. Diese orientieren sich – enttäuscht von den Regierungen – an anderen,Autoritäten, z.B. an diesen narzisstischen Populisten, die es demagogisch verstehen, Ängste und Zweifel zu schüren, und sich selber als „Retter“ zu inszenieren.

Als Arzt und Naturforscher sehe ich da eine verblüffende Parallele zu dem Prozess der Krebs-Entstehung: einzelne Zellen verlieren ihre Funktion für den Gesamtorganismus. Statt dessen folgen sie einem anderen „Programm“: sie wachsen, buchstäblich unheimlich, indem sie alle Ressourcen an sich reißen, auch wenn dadurch der Gesamtorganismus zugrunde geht.
Bis zum Schluss haben Menschen mit diesem “carcinomatösen” Programm die Illusion, am Untergang – der auch ihr eigener ist – zu profitieren.

Zugegeben, diese Sichtweise ist nicht tröstlich. Aber sie kann die Augen öffnen und Gegenkräfte wecken – entsprechend einer gesunden Immunantwort eines Körpers gegen entartete Krebszellen.

Rekonsolidierung

Diese optimistische Aussicht ist mir möglich, weil ich – wie oben bereits angedeutet – täglich erfahre, dass der gesunde Instinkt, der wahre Kompass nicht verloren ist, sondern nur überlagert wurde.
Die neuere Gedächtnisforschung hat beobachtet, dass es ein angeborenes Selbstheilungspotential des Gehirns gibt, welches erlaubt, frühe gespeicherte Traumen mit ihren Überlebensprogrammen gezielt zu löschen. Allerdings scheint dies Potential nicht spontan zu wirken. Aber es kann aktiviert werden durch gezielte Interventionen in einer bestimmten Abfolge, die Thomas Hensel beschreibt, und die auch unerer Vorgehensweise entspricht:
SYMBOLISIERUNG des damaligen Traumas UND GLEICHZEITIG einer gesunden Ressource (dem GESUNDEN INSTINKT, Aspekt des eigenen „SELBST“).
Der „BIFOKALE BLICK“ erlaubt dem Klienten, beides gleichzeitig zu spüren. Wenn er erkennt, dass ersteres mit Stress und Abwertung, und zweiteres mit Frieden und Selbst-Achtung verbunden ist, dann kann er sich entscheiden, zur
DESIDENTIFIKATION: er erkennt das Trauma als unvereinbar mit seinem Selbst, und identifiziert sich nun mit seinem Selbst. Dazu ist dann
DISTRAKTION erforderlich: er vergrößert den inneren Abstand zu diesen toxischen Elementen, z.B. indem er diese symbolisch abgrenzt.
Dadurch befreit er seinen Inneren Raum für sein Wahres Selbst.
Er ersetzt den falschen Kompass (die Trauma-Introjektion) durch den wahren Kompass, sein wahres Selbst.
Das entspricht der von uns entwickelten SELBST-integrierenden Stressorauflösung (SISTA).
Die neu gewonnene Selbstverbindung ist mit einem neuen Selbstwertgefühl verbunden. Dies erlaubt es, absichtslose Liebe annehmen – und geben zu können. Der unterdrückte Schmerz kann zugelassen werden. Die unterdrückte Wut („Wutbombe“) kann sich wieder gesund gegen einen Verletzer entladen.

Dazu die Rückmeldung einer Schülerin, die in einer narzisstischen Familie früh ihre gesunden Instinkte verleugnen musste:
Als ich mich endlich diesem tiefen Schmerz in mir stellen und komplett durchfühlen konnte, änderte sich plötzlich was. Ich habe komplett losgelassen und war bereit zu sterben. In meiner Erinnerung war ich ein kleines verlassenes Baby und auf einmal am tiefsten Punkt des Schmerzes, wurde es plötzlich leicht und in dieses Baby floß ein Licht und eine Wärme… der kleine Körper wurde komplett durchflutet und die Gestalt der Mutter ging in den Schatten und ich hatte aber keine Angst mehr und konnte sie gehen lassen, weil die Liebe IN mir war.
Das Ende der Abhängigkeit!!
Das ist jetzt 8 Monate her und seitdem fühle ich mich anders.. ich gestehe mir zu glücklich zu sein. Ich habe mir ein schönes Leben geschaffen. Ein schöner Wohnort mit Naturgarten, der Traum eines Campers, eine liebevolle Beziehung auf Augenhöhe (seit 2 Jahren), ein neuer Job und auch nebenberuflich Menschen in ihrem Prozess zu begleiten. Eine Mutter für meine 3 Kinder sein, die sie in ihrem selbst sieht und die riskieren dürfen sich von mir abzugrenzen, ohne die Liebe zu verlieren.
Ich fühle gerade so eine demütige Dankbarkeit und Würde in mir. Wie eine Kriegerin die eine Schlacht gekämpft hat, viele Opfer gebracht hat, aber jetzt verstanden hat, dass der Krieg vorbei ist. Ja es ist vorbei.. das wollte und konnte mein Nervensystem lange nicht begreifen. War doch die vertraute Hölle sicherer als das unbekannte Paradies. Und ich wachse immer mehr in das neue Leben hinein und die Schatten der Vergangenheit verblassen immer mehr. Die alten Dämonen haben an Kraft verloren, weil ich sie mit Mitgefühl betrachte und sie nicht mehr bekämpfe. Sie wollen auch nur gesehen werden..dann werden sie ganz weich und klein und verlieren ihren Schrecken.
Ich traf vor ein paar Tagen das erste mal seit dem Bruch vor 4 Jahren auf meine Familie, weil mein Neffe Geburtstag hatte und ich meine Kinder vorbei gebracht habe.
Ich war komplett entspannt und bei mir. Es gab keinen Trigger. Ich war dort als Erwachsene und nicht als Kind und dadurch konnte ich selbst auch meine Familie zum ersten Mal wirklich sehen. Abseits meiner Bedürftigkeit nach Liebe konnte ich sie in ihrem eigenen Schmerz und ihren Themen sehen und das sie ebenfalls Strategien entwickelt haben um zu überleben. Und das dies alles überhaupt gar nichts mit mir zu tun hatte. Sie wollen sich nur schützen. Ich spürte in mir.. ja da ist jetzt Frieden, es gibt keinen Krieg mehr, weil ich aufgehört habe um Liebe und Anerkennung zu kämpfen. Ich brauche diese Menschen immer noch nicht in meinem Leben, weil ich Menschen bevorzuge mit denen man auch über das wahre selbst verbunden sein kann und nicht nur über die Traumatisierung.
Und trotzdem spürte ich ein wortloses Übereinkommen. “Ich lebe mein Leben und ihr lebt euer Leben und es steht mir nicht zu, mich da einzumischen. Es ist eure Art zu überleben und ich kann das jetzt achten”. Ein so unbekanntes Gefühl abseits des bekannten Dramas.
Ich möchte mich hiermit so sehr bei dir und Philipp bedanken, dass ihr mich auf diesem Weg begleitet habt. Das Autonomietraining und die Grenze, war neben der Körpertherapie der entscheidende Schlüssel. Ohne diese Hilfe wäre ich noch immer in meinem falschen Selbst und der Trauma Dunkelheit gefangen.

TERMINE

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Wir grüssen euch herzlich!

Ero und Phil

(versendet: 24.03.2024)