INSTITUT SYSTEMISCHE SELBST-INTEGRATION LANGLOTZ-KUTZELMANN

Liebe Freunde,
liebe KollegInnen,

heute an Pfingsten möchte ich euch meine Überlegungen mitteilen zum Thema

Destruktiver Narzissmus und die globalen Krisen

I Individuelle Beziehungsmuster
I.1.Wahres – und falsches Selbst der Eltern
Um die frühen Beziehungstraumen mit ihren Auswirkungen besser zu verstehen ist die Unterscheidung wichtig, zwischen
einem wahren Selbst der Eltern, das dem Kind bedingungslose Liebe geben kann und so die Entstehung eines intrinsischen Selbstwertgefühls ermöglicht – und
einem durch Traumata bedingten „falschen“ Überlebens-Selbst der Eltern, das die Ursache war für Verletzungen des Kindes:
emotionales Verlassen, Benutzen und Überfordern,
seelische oder körperliche Gewalt: Ignorieren, Ablehnen, Bestrafen.

I.2. Machtgefälle und Anpassungsreflexe
Dieses destruktive Beziehungsmuster wird unbewusst von Generation zu Generation weitergegeben. Täter waren immer früher selber Opfer.
Kinder – seelisch und physisch abhängig von diesen Eltern (Machtgefälle) – entwickeln Überlebensreflexe, die als Programm gespeichert werden und unbewusst ihr Selbstbild, ihr Erleben und Verhalten bestimmen, einschliesslich der Wahl des Partners. Unbewusst suchen sie sich Partner, die ähnlich belastet sind wie die eigenen Eltern.

I.3. Selbstwert und Beziehungsmuster
So wird das Muster des Macht-Missbrauchs über Generationen weiter gegeben und vergiftet die Beziehungen:
Ohne Selbstwertgefühl entwickeln die Betroffenen ein extrinsisches Selbstwertgefühl durch Leistung, um die ersehnte Zuwendung und Anerkennung ihres Gegenübers gewinnen zu können. Das ist die depressive Variante: Workoholic, Helfersyndrom, depressive Erschöpfung.
Oder sie versuchen mit allen Mitteln Macht zu entwickeln, um andere durch Versprechungen, Geschenke- aber auch durch Drohungen oder Gewalt zu manipulieren und von sich abhängig machen. Das ist die destruktiv-narzisstische Variante.
Die Ursache ist immer das fehlende gesunde intrinsisches Selbstwertgefühl, das unabhängig macht von der Anerkennung durch andere. Ein Bewusstsein der eigenen Würde, das es erlaubt, sich dem Gegenüber echt und authentisch zu zeigen. So wird Bindung möglich durch gegenseitige Anziehung.

Diese Unterscheidung zwischen „wahrem“ und „falschen“ Selbst ermöglicht einen Lösungsprozess: Wenn die bisher unterdrückten „negativen“ Gefühle von Schmerz, Ohnmacht und Wut wieder zugelassen und gegen das „falsche“ Selbst „entladen“ werden können, dann wird der Blick frei auf das „wahre“ Selbst des Elternteils, von dem das Kind – in kostbaren seltenen Augenblicken – auch die so ersehnte und benötigte bedingungslose Liebe erleben konnte.
Erst nachdem der Kanal für die gesunde Wut geöffnet wird kann sich auch der Kanal für die Liebe öffnen. Das Herz öffnet sich für die bedingungslose Liebe eines anderen.

II. Zur Entstehung der globalen Krisen
II.1. Die Erfahrungen mit frühen Beziehungstraumen haben meinen Blick geschärft für kollektive Konflikte und Krisen.
Unsere Gesellschaft ist immer noch – bzw. immer mehr – bestimmt von extremen Gegensätzen von Arm und Reich, von Macht und Ohnmacht. Über Jahrhunderte waren 90% unserer Vorfahren Leibeigene die kein eigenes Land und keine Rechte hatten. Nur die „Herren“ – der Adel und der Klerus – durften Land besitzen.
Dies offensichtliche Unrecht war zur Gewohnheit geworden, sanktioniert durch die Macht der Gewalt. Die Besitzlosen – denen ein intrinsischer Selbstwert ausgeprügelt worden war, lernten sich unterzuordnen, fleissig und gehorsam zu sein. Sie überlebten, indem sie für die anderen nützlich waren. Das entspricht der depressiven Variante.
Aber es gab auch die Unangepassten, die sich widersetzten – und dafür kriminalisiert wurden.
Und andere, die ihre Intelligenz und alle Mittel nutzten, um selber zu Macht zu kommen, indem sie andere von sich abhängig machten. Narzisstische Variante.

II.2 Machtmissbrauch
Die zentrale Ursache der eskalierenden Krisen scheint mir der Machtmissbrauch zu sein: wenn mächtige „Eliten“ ihre Machtmittel nicht für das Gemeinwohl einsetzen sondern ausschliesslich für die Vermehrung der eigenen Macht.
Als Arzt erkenne ich sofort die Parallele zum „Programm“ einer Krebszelle.
Jede Zelle im Organismus hat zunächst eine bestimmte Funktion, um das Leben des Organismus zu ermöglichen. Wenn eine Zelle sich vom Organismus abkoppelt und nur noch das eine Programm kennt: „Wachsen um jeden Preis“, dann wird sie zur Krebszelle. Dabei zerstört sie die Nachbarorgane, reisst alle Ressourcen an sich, sodass der Organismus stirbt, und damit auch das Krebsgeschwulst.
Die Parallele zu dem ausschlieslich Profit-orientierten Verhalten der Konzerne und Einzelpersonen (wie gerade Rene Benko) ist offensichtlich.

II.3 Selbstheilungstendenzen
Ein gesunder Organismus hat durch die Immunabwehr die Fähigkeit, Krebszellen im Frühstadium zu erkennen und unschädlich zu machen.
Daher sehe ich das als hoffnungsvolles Zeichen, dass auch in der Gesellschaft die Kräfte zunehmen, die Machtmissbrauch als solchen benennen und ächten, offensichtlich ausgelöst durch die Krisen. Ich denke an die Missbrauchsskandale in den Kirchen, die nach jahrhundertelangem Vertuschen endlich wahrgenommen werden. Ebenso die Me-too-Bewegungen, welche den Machtmissbrauch in anderen Bereichen, in der Lehr, im Sport und in den Kulturorganisationen bewusst machen und zu Recht anprangern.
Schon länger gibt es die Friedensbewegung und die Klimabewegung, welche durch gewaltfreie Aktionen das öffentliche Bewusstsein für das Unrecht schärfen möchte. Ghandi war es durch sein Beispiel des gewaltlosen Widerstand möglich, Indien von der britischen Kolonialmacht zu befreien.
Dass die Mächtigen und die von ihnen abhängigen Gruppen das bekämpfen durch Verleumdung, Unterstellungen oder – wie in Bayern – durch Kriminalisierung, macht immer mehr Menschen bewusst, dass es Zeit wird, sich aus der Komfortzone herauszuwagen, wenn sie für sich und ihre Kinder eine lebenswerte Zukunft wünschen. Das zeigt nur, wie berechtigt und wie wichtig diese Auseinandersetzungen sind.

III Der Konflikt Israel-Palästina
Auch die aktuellen Debatten über das Verbot Pro-palestinensischer Demonstrationen verstehe ich als dringend erforderlichen Klärungsprozess. Über Jahrzehnte ist ein Konflikt zwischen Israel und den Palestinensern eskaliert, angetrieben von extremen Fanatikern auf beiden Seiten, unterstützt durch Grossmächte, die sich so einen Stellvertreterkrieg leisten. Beide Seiten haben grobe Menschenrecht verletzende Verbrechen begangen. Und es ist gut, wenn gerade junge Menschen dagegen protestieren, weltweit, aber auch bei uns.
Deutschland ist da wegen des monströsen Holocaust-Verbrechens an Millionen von Juden in einem Dilemma. Wenn aber eine israelische Regierung berechtigte Kritik an den eigenen Menschenrechtsverletzungen als „Antisemitismus“ zu diffamieren und abzubügeln versucht, dann erscheint mir das als zynisch und obszön. Auch Israel muss die Menschenrechte achten, es steht nicht über den Gesetzen. Oder pointiert formuliert: der erlittene Holocaust bedeutet keine Lizenz zum Töten Unschuldiger.
Aus meinen Erfahrungen mit frühen Traumata weiss ich, dass aus Opfern nicht selten Täter werden. Daher ist es so wichtig, bei einer Person, aber auch bei einer Regierung zu unterscheiden zwischen dem „gesunden Wesenskern“ und einem Trauma-bedingten Fehlverhalten, das natürlich benannt und verurteilt werden darf. Auch und gerade von uns Deutschen, die durch unsere Geschichte eine besondere Beziehung zu Israel haben.
Daher erscheint mir eine nüchterne Debatte extrem wichtig, ohne sich von den aufgepeitschten Emotionen der Fanatiker auf beiden Seiten einschüchtern zu lassen.

IV Ein allmächtiger, männlicher Schöpfergott – ein toxisches Konstrukt?
Es gab schon lange berechtigte Kritik an der Vorstellung eines männlichen Vatergottes, der die Welt erschaffen haben soll. Die Aufklärung und die Frauenbewegungen haben dazu zahlreiche Argumente beigetragen.
Die Frau ist es doch, die seit Jahrtausenden täglich sich und ihren Körper für das neue Leben zu Verfügung stellt. Und da soll ausgerechnet ein männlicher Gott diese Welt erschaffen haben?
Angesichts der grassierenden Zerstörung der Natur und der Umwelt erscheint auch der „Auftrag“ dieses Schöpfergottes: „Macht euch die Erde untertan!“ sehr merkwürdig.
Und statt dem Satz: Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde – und Eva aus Adams Rippe! – wäre es stimmiger zu sagen: „Der Mann, der sich den Frauen unterlegen fühlte, schuf sich einen Gott, nach seinem Bilde!“
Es scheint, dass dieses Gottesbild entstand, um den männlichen Machtmissbrauch – „von Gottes Gnaden“ – zu legitimieren.
Und der Klerus – natürlich männliche Priester – durfte diese angemasste Macht teilen, weil die Amtskirche durch ihre Doktrin den Menschen eine angebliche Erbsünde zuschrieb. Damit sprach sie ihm seine „intrinsische Erb-Würde“ ab, und die Fähigkeit einer natürlichen Religiosität, die unmittelbar mit dem Transzendenten in Verbindung kommen kann.
Diese Doktrin stellte zwar die Botschaft Jesu auf den Kopf, aber sie war ein Erfolgsrezept und wurde zum Modell für den Kapitalismus. Durch indoktrinierte Schuldgefühl ein Bedürfnis nach Erlösung zu wecken, und gleichzeitig selber ein Monopol zu besitzen für diese „Gnadenmittel“. Das hat über Jahrtausende eine Macht begründet. Wir bewundern die geistigen Errungenschaften und die grossartigen Kunstwerke, die von Menschen geschaffen wurden, die sich in den Dienst dieser Macht gestellt haben. Wir sind dankbar für die Dienste der Nächstenliebe, die von Menschen geleistet werden, die sich oft mehr dem Geist Jesu verpflichtet fühlen, als der Doktrin der Amtskirche.
Und wir erleben gerade, wie diese Macht beginnt zu bröckeln, je deutlicher der Machtmissbrauch mit seinen krankmachenden Wirkungen sichtbar wird. Auch hier gilt: je deutlicher wir diese verwirrende destruktive Seite der kirchlichen Doktrin erkennen und benennen, umso deulicher wird die wahre Botschaft von Jesus, der zu den Benachteiligten und Ausgestossenen ging und ihnen die Liebe predigte: Ihr seit Gottes Kinder! Kann man einem Menschen eine grössere Würde zusprechen?
Dieser Jesus wehrte sich gegen den Machtmissbrauch der Priester und der römischen Besatzer, und wurde deshalb kriminalisiert, verurteilt zum Foltertod am Kreuz!
Die Umdeutung von Paulus, der Tod am Kreuz sei eine Heilstat Gottes, um uns Menschen von unserer Erbsünde zu erlösen entpuppt sich als geniale FAKE NEWS, um Menschen zu verwirren und zu Unterordnung und Gehorsam zu erziehen.
Dank dieser Verfälschung konnte sich das Unrecht der Mächtigen für 2 weitere Jahrtausende halten.
Diese Erkenntnis kann Kräfte freisetzen!

V Pfingsten
ist das Fest des „heiligen Geistes“.
Dieser Geist weht, wo er will und er richtet sich – mit Sicherheit! – nicht nach der kirchlichen Doktrin. Das ist der Geist Jesu, der Geist der Wahrheit, der die Verwirrungen der Gegenwart vertreibt. Möge dieser Geist uns alle erfassen, und uns helfen besser zu unterscheiden zwischen wahr und falsch.
Vielleicht sind es ja gerade die Krisen, die diesen Geist in uns wecken.

Ich grüsse euch alle herzlich
ero

Diesen Text findet ihr auch als Video unter https://youtu.be/LQG-eeLjxpg

(versendet: 19.05.2024)