INSTITUT SYSTEMISCHE SELBST-INTEGRATION LANGLOTZ-KUTZELMANN
- SYMBIOTISCHE VERWIRRUNG – UND DIE AKTUELLEN KRISEN
Liebe Freunde,
liebe Kolleg*innen,
Deutschland hat gerade 1:2 gegen England verloren. Die Deutschen sind enttäuscht und werfen dem Schiri vor, ein Handspiel nicht gewertet zu haben. Nagelsmann, der Trainer der Nationalmannschaft, betont mit Recht: entscheidend sei doch das hervorragende Zusammenspiel unserer Mannschaft gewesen. Und diese „Symbiose“ wäre auch in anderen Lebensbereichen sehr wertvoll.
Wir verstehen in unserem Gebiet Symbiose als etwas Negatives, als das Fehlen von Autonomie. Diese unterschiedlichen Bewertung von „Symbiose“ ist sehr verwirrend – das erlebe ich jeden Tag. Daher versuche ich heute, möglichst knapp die unterschiedlichen Formen von Symbiose zu definieren.
Hilfreich für diese Differenzierungen sind zwei Gesichtspunkte:
1. handelt es sich um ebenbürtige Partner oder besteht ein naturgegebenes „Autonomie-Gefälle“ (z.B.Mutter-Säugling)
2. nützt diese Beziehung beiden Partnern, oder nur einem? Schadet sie vielleicht beiden, oder zerstört sie sogar den anderen?
SYMBIOTISCHE VERWIRRUNG – UND DIE AKTUELLEN KRISEN
1. Symbiose als Win-Win
Wenn Nagelsmann von Symbiose spricht, dann meint er das weit verbreitete Beziehungs-Phänomen, bei dem alle Beteiligten einen Gewinn haben, und keiner benachteiligt wird. Auf „Neudeutsch“ eine Win-Win-Situation. Diese Form finden wir zum Beispiel, im Verhältnis der Ameisen zu den Blattläusen. Sie legen „Blattlauskolonien“ an und nähren sich von derem Sekret.
Oder unser Verhältnis zu bestimmten Bakterien, die unseren Darm besiedeln, und uns beim Aufschliessen von Nahrungsmitteln wertvolle Dienste leisten.
2. Mutter-Kind-Symbiose
Hier besteht ein ausgeprägtes Autonomie-Gefälle. Da das Neugeborene alleine nicht lebensfähig ist, orientiert sich die Mutter nach den Bedürfnissen des Kindes – und muss dabei eigene Bedürfnisse zurückstellen. Je mehr das Kind eigene Fähigkeiten entwickelt – und diese auch anwenden will – desto mehr kann und muss die Mutter sich wieder nach den eigenen Bedürfnissen orientieren. Diese naturgegebene Autonomie-Entwicklung des Kindes könnte zur Auflösung der Mutter-Kind-Symbiose führen. Wir alle wissen, dass das heutzutage nicht immer gelingt. Manche Mütter, die selber wenig Selbstwert und Autonomie entwickeln konnten, halten diese „Überfürsorge“ irrtümlich für „Liebe“ zu der sie sich verpflichtet fühlen – um sich als „gute Mutter“ wertvoll zu fühlen. Sie reagieren gekränkt und vorwurfsvoll auf die – bisweilen ungestümen – Autonomiebewegungen des Kindes. Dadurch kann es zu Kontakt-Abbruch kommen – oder auch zu lebenslanger Unterwerfung und Abhängigkeit des Kindes.
3. Autonomie
Als Autonomie wird die Fähigkeit bezeichnet, sein Leben SELBST-bestimmt – statt FREMD-bestimmt führen zu können.
Entscheidend sind die ersten „prägenden“ Beziehungen. Wenn ein Kind gelernt hat, dass es wert ist, beachtet, versorgt und geliebt zu werden, einfach weil es da ist – unabhängig davon, ob es nützlich ist durch Leistung oder Gehorsam, dann entwickelt es ein Selbstwert-Gefühl. Dazu gehört das Recht, sich immer mehr nach der eigenen Wahrnehmung, nach eigenen Gefühlen und Bedürfnissen zu orientieren.
Durch diesen Selbstwert, durch diesen eigenen „Kompass“ kann sich auch eine Struktur entwickeln:
Die Wahrnehmung für den eigenen Raum und die eigenen Grenzen, die geschützt werden dürfen, wenn sich Fremde ungebeten einmischen wollen.
Die Wahrnehmung und der Respekt für fremde Grenzen, Räume und Interessen, die verletzt werden, wenn man sich ungefragt einmischen zu müssen glaubt.
Diese Struktur ermöglicht es, die gesunde Kraft- auch die gesunde Wut – gerichtet einzusetzen, statt sie zu unterdrücken und destruktiv gegen sich und andere zu lenken.
Der eigene Selbstwert, die eigene Würde erlaubt auch, absichtslose Liebe von anderen anzunehmen – und selber zu schenken.
Das Selbstwertgefühl macht es möglich, sich zu zeigen, wie man wirklich ist. Das macht authentisch und das wirkt anziehend auf andere – die genau das schätzen.
So entsteht gegenseitige Anziehung, und dadurch Bindung.
Diese „erwachsene“ Bindung ist primär unabhängig von Leistung oder Gehorsam.
4. Wenn ein Beziehungstrauma die Autonomie-Entwicklung blockiert . . .
Der frühe Verlust einer wichtigen Bezugsperson – z.B. Eltern oder Geschwister – aber auch die Erfahrung, ignoriert, abgelehnt – oder benutzt zu werden, kann die Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls blockieren oder verhindern. Um dennoch zu überleben, aktivieren die Betroffenen angeborene Anpassungs-Reflexe. Sie erkennen, welche eigenen Gefühle, Bedürfnisse oder Wahrnehmungen ignoriert oder gar als „falsch“ abgelehnt werden, um diese dann selber zu unterdrücken oder zu verleugnen.
Ohne diese „innere Orientierung“ entwickeln sie eine spezielle Wahrnehmung („Antennen“) für die Bedürfnisse, Gefühle und Überzeugungen anderer, um von ihnen geduldet, oder vielleicht sogar als „nützlich“ anerkannt zu werden. Diese „magisch-grandiosen“ Tendenzen vermitteln ein „extrinsisches“ Selbstwertgefühl, begründet auf Leistung und Gehorsam. Aber dies Selbstwertgefühl ist brüchig, es schwankt zwischen grandioser Selbst-Überschätzung und brutaler Selbstabwertung.
5. . . entsteht ein „destruktives“ Symbiosemuster
Abhängigkeit
Die Betroffenen neigen dazu sich nach den Ansichten und Bedürfnissen des jeweiligen Gegenübers zu orientieren, um Konflikte zu vermeiden.
Umso mehr, da sie ihre „gesunde“ Wut lieber unterdrücken, als sie an die richtige Adresse zu richten: sie sind wenig konfliktfähig.
Sie neigen dazu, sich in fremden Räumen zuständig zu fühlen – ohne Auftrag – und riskieren Erschöpfung und Burnout für die Illusion, wertvoll zu sein für andere.
Lose-Lose-Situation
Da sie ihre eigenen Bedürfnisse nicht spüren, können sie nicht gut für sich selber sorgen. Sie sind angewiesen auf andere, die – so wie sie – sich wertvoll fühlen, wenn sie gebraucht werden. So entsteht die Ko-Abhängigkeit, die symbiotische Beziehung zwischen zwei Abhängigen. Fatal, dass auch sie ihre Bereitschaft, sich vom anderen benutzen zu lassen, irrtümlich für „Liebe“ halten. Dass gibt dieser sehr verbreiteten Verwirrung so etwas Scheinheiliges – wie einen „Heiligenschein“.
Verstärkt wird dies Muster noch durch eine (kirchliche) Doktrin, die Gehorsam und Selbstlosigkeit als „Tugend“ verklärt.
6. destruktiver (toxischer) Narzissmus
Manche, denen als Kind ihr Selbstwertgefühl so gründlich ausgeprügelt wurde, dass sie sich selber für „böse“ halten, sind davon überzeugt, dass sie nicht liebenswert sind. In ihrer verzweifelten Einsamkeit entwickeln sie perfekte Strategien, um dennoch die ersehnte Nähe zum Gegenüber zu erzwingen,
indem sie sich für den anderen unentbehrlich machen,
indem sie – fälschlich – vorgeben, nur das Beste für den anderen zu wollen,
durch Geschenke und Versprechungen, und/oder notfalls auch
durch Androhungen und Gewalt.
So entstehen Lose-Win- Beziehungen, bei der nur die eine Partei gewinnt, auf Kosten der anderen.
Dieses Beziehungsmuster kann verglichen werden mit einer Krebserkrankung. Alle Zellen eines Organismus sind so programmiert, dass sie das Überleben des Gesamtorganismus sichern. Bisweilen „entarten“ einzelne Zellen, das heisst, sie orientieren sich nicht mehr an ihrem ursprünglichen Programm, eine bestimmte Funktion zu erfüllen. Sie koppeln sich ab und vermehren sich hemmungslos. Dabei zerstören sie die Nachbarorgane und damit den Gesamtorganismus. Sie nehmen auch den eigenen Untergang in Kauf, und versuchen, bis zum Schluss noch davon zu profitieren!
Diese bösartige „karzinomatöse“ Variante des Narzissmus ist gerade dabei, die Schlüsselpositionen der Macht zu erobern, um diese Macht für die eigenen Interessen zu missbrauchen – auf Kosten des Gemeinwohls. Dabei verschleiern sie ihre wahren Ziele, und geben vor, die Interessen der Menschen zu vertreten.
(Den vollständigen Text findet ihr unter https://www.systemische-selbstintegration.de/t294f9-SYMBIOTISCHE-VERWIRRUNG-UND-DIE-AKTUELLEN-KRISEN.html )
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Ero und Phil
(versendet: 08.07.2024)