• Online-Kongress „Der verlorene Zwilling“
  • Leben mit schwerer Schuld


Liebe Freunde,

Liebe Kolleg*innen,

im letzten Newsletter habe ich den Link zum Online-Kongress „Der verlorene Zwilling“ vergessen. Hier ist er:

www.kongress-verlorenerzwilling.com

mit dem Passwort welcome einloggen.

Gerade ist ein Text zum Thema Leben mit Schuld entstanden, aus Anlass eines Radio-Interviews:

Leben mit schwerer Schuld

Sechs junge Menschen zwischen 18 und 19 Jahren sind in einem Gartenhaus ums Leben gekommen. Die Ursache: CO2-Vergiftung durch ein Stromaggregat, welches der Vater (52) von zwei der Betroffenen in den Nebenraum des Gartenhaus gestellt hatte. Jetzt wurde gegen ihn Anklage erhoben wegen fahrlässiger Tötung.

Wie kann ein Mensch mit so einer schweren Schuld leben?

ÜBERLEBENSSTRATEGIEN BEI SCHULD

Als Psychotherapeut sehe ich täglich: Menschen, die sich in dieser Weise schuldig gemacht haben, entwickeln unterschiedliche Strategien, damit umzugehen:

Sie leugnen die eigene Schuld, schieben die Verantwortung auf andere, verdrängen das Thema,

oder sie verurteilen sich selber, und versuchen ihre Schuldgefühle dadurch zu mindern, dass sie sühnen, dass sie leiden, dass sie sich selbst bestrafen, indem sie ein freudloses Leben leben.

Eine gerichtliche Verurteilung kann dadurch dem Betroffenen einen Realitätsbezug erleichtern, dass es die Schuld beschreibt, und eine angemessene Strafe festsetzt. Das kann dem Betroffenen helfen, indem es seine Schuldgefühle und Selbstbestrafungstendenzen entlasten.

Aber wie gelingt es einem Betroffenen selbst, zu der eigenen Schuld und zu den Folgen der Tat zu stehen UND sich mit sich selber zu versöhnen?
Das erscheint sehr schwer, manchmal vielleicht unmöglich.
Manche finden Trost und Hilfe in ihrem christlichen Glauben.

In meiner systemtherapeutischen Praxis haben sich folgende Überlegungen als hilfreich erwiesen. Sie weisen Parallelen auf zur buddhistischen Philosophie.

IDENTIFIKATION

Wir werden in unserer Gesellschaft dazu erzogen, unseren Selbst-Wert davon abhängig zu machen

  • was wir leisten und geleistet haben,
  • was wir uns leisten können,
  • was wir zu besitzen glauben: Geld, Macht, Gesundheit,
  • wie uns andere sehen.

Das heisst, wir neigen dazu, uns mit diesen Aspekten zu identifizieren, als seien sie ein unverlierbarer Teil unserer Identität. Als seien sie unser SELBST. Und wir neigen dazu, die zu verachten, denen diese Aspekte fehlen – so als seien sie weniger Wert!

Damit machen wir uns von diesen Aspekten abhängig.

Wir erleben daher den Verlust von Besitz, Macht, Gesundheit, gesellschaftlichem Ansehen, aber auch Schuld, also den Verlust von Unschuld als existenzbedrohende Krise, so als würden wir dadurch unsere Identität, unseren Selbstwert, unsere Selbstachtung verlieren.

Offensichtlich haben wir uns auf ein „falsches“ Selbst verlassen!

KRISE UND CHANCE

Wem es gelingt, einen solchen Verlust anzunehmen, in einem sehr schmerzvollen Prozess, der hat aber auch die Chance, zu erkennen:

zur menschlichen Realität, der wir uns nicht entziehen können, gehören

Unschuld … und Schuld,

Macht … und Ohnmacht,

Reichtum … und Armut,

Gesundheit … und Krankheit,

Leben … und Tod.

Wenn wir diese menschliche Realität akzeptieren, und wenn wir der ewigen Veränderung zustimmen können, dass diese Aspekte kommen – und gehen, dann spüren wir in den ganzen Veränderungen, dass wir in uns eine innere Instanz haben, die bleibt, solange wir leben:

eine Instanz, die sich vollständig fühlt, ohne Besitz, die ihren Wert hat unabhängig davon, ob wir etwas leisten oder ob wir gebraucht werden: unser (wahres) SELBST.

So wie eine Rose, die ihren Wert und ihre Würde hat, alleine durch ihr D a s e i n .

Wenn wir uns mit diesem „wahren“ SELBST identifizieren – statt mit dem falschen Selbst – dann gewinnen wir eine innere Freiheit. Diese Freiheit entsteht durch eine Distanz (Grenze!) zu dem was kommt und geht.

Dann geschieht zweierlei:

  • wir können diese Aspekte loslassen, wenn sie gehen, und
  • wir können sie ganz anders wertschätzen, wenn sie da sind.

Menschen, die durch einen solchen inneren Veränderungs-Prozess gegangen sind, haben eine neue Gelassenheit, ein anderes Selbst-Bewusstsein. Sie haben sich aus einer Abhängigkeit befreit.

Sie müssen sich – und auch die anderen! – nicht mehr bewerten. Sie spüren Mitgefühl mit denen, die sich noch in Abhängigkeit befinden, und eine tiefe Verbindung zu denen, die sich ebenfalls aus einer Abhängigkeit befreit haben.

Euch allen herzliche Grüsse
Ero

(versendet: 14.10.2017)