Der Beitrag einer modifizierten Familienaufstellung zur Traumatherapie.

Trauma und Autonomiestörung

Die frühe Erfahrung von sexuellem Übergriff und Gewalt hat massive und typische Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung. Um zu überleben, um Nähe und Zugehörigkeit nicht zu gefährden, müssen die Betroffenen  Gefühle von Hass, Mordgedanken, ja schon die Erinnerung an das Trauma verdrängen. Dadurch ist jedoch zwangsläufig die Identität und die autonome Selbst- und Fremd-Wahrnehmung – Voraussetzung für eine autonome Orientierung – entscheidend beeinträchtigt. Sie befinden sich – hinter einer brüchigen Fassade – in einem Teufelskreis von Hass und Schuldgefühlen, mörderischer Wut und Selbstzerstörung. Ihre Verschmelzung mit dem Täter  -„Identifikation mit dem Aggressor“ nach Anna Freud – hält sie in der Täter-Opfer-Dynamik fest, sie kommen immer wieder in die Opfer- oder Täterrolle. Dies ist die entscheidende Ursache schwerer psychischer Störungen wie Borderline-Syndrom und Psychose, aber auch schwerer Soziopathien.
Das „prozeßorientierte“ Familienstellen scheint gut geeignet, dem Klienten – und dem Therapeuten – die vorliegende Dynamik sichtbar und bewußt zu machen und Lösungsstrategien aufzuzeigen.
Dabei scheinen mir zwei Aspekte wesentlich:

  • Die Berücksichtigung und Auflösung der Verschmelzungsdynamik ermöglicht nach meiner Erfahrung eine rasche und nachhaltige Entlastung des Klienten.
  • Hass und Mordgedanken, meist verdrängt, erweisen sich als „Ariadnefaden“ durch das Labyrinth hin zum traumatischen Erleben.

Wenn sie als sinnvolle und legitime Reaktion auf Trauma anerkannt und als „kostbares“ Relikt der beschädigten Autonomie wertgeschätzt werden, unterstützt das den Klienten bei der Reintegration seiner abgespaltenen Gefühle, Impulse und Erinnerungen, verhilft ihm wieder zu einer autonomen Selbstorganisation und Orientierung.

Symbiose, „falsches Selbst“,  Autonomiestörung, Destruktion und Verwirrung

Ich hatte als Psychiater in eigener Praxis über 13 Jahre lang die Gelegenheit, Erfahrungen mit dem Familienstellen zu sammeln und die Vorgehensweise zu modifizieren. Das so entstandene „prozeßorientierte Familienstellen“ mit der Einbeziehung archaischer Abschieds- und Abgrenzungs-Rituale ermöglichte ein vertieftes Verständnis der Ablösungs- und Reifungs-Prozesse, der Identitätsentwicklung mit ihren Störungen – und eröffnete neue sehr wirksame Lösungsstrategien.

In den letzten 2 Jahren trat dabei immer mehr das Thema symbiotische Verschmelzung, die damit einhergehende Störung der Autonomieentwicklung und besonders die Bedeutung von Aggression und Destruktion in den Vordergrund 1.

Autonomie

Autonomie, d.h. ein Zugang zur eigenen Erinnerung, zu eigenen Gefühlen und Bedürfnissen, eine autonome Selbstwahrnehmung (Identität) und Fremdwahrnehmung, ist für die innere und äußere Orientierung, für die Beziehungs- wie Handlungsfähigkeit von entscheidender Bedeutung.

„Falsches Selbst“
Diese Autonomie ist empfindlich beeinträchtigt oder gar aufgehoben, durch das bekannte Phänomen, daß Kinder oft nicht am richtigen Platz stehen. Sie neigen dazu, für die Eltern deren früh verstorbenen Eltern (Parentisierung), Geschwister oder frühere Partner zu vertreten (Identifizierung). Sie identifizieren sich mit dem was die Eltern von ihnen erwarten, was die Eltern in ihnen sehen, entwickeln ein „falsches Selbst“ (Winnicott) um von den Eltern wahrgenommen zu werden, Zuwendung zu erfahren. Das verändert ihr Selbstbild (Identität), ihre Eigen- und Fremdwahrnehmung. Sie lernen, ihre eigenen, autonomen Gefühle und Bedürfnisse zu unterdrücken, um diese Zuwendung der Eltern nicht zu verlieren, durch Liebesentzug, Abwertung, Verurteilung. Die Anpassung an die unausgesprochenen Erwartungen der Eltern geht häufig soweit, das sie ihre autonomen Gefühle und Bedürfnisse als bedrohlich erleben, sie entwickeln so etwas wie ein „verinnerlichtes Autonomieverbot“.

Destruktion
Das beinhaltet immer auch die Unterdrückung aggressiver Impulse wie Hass und Wut. Die unterdrückte Aggression entlädt sich entweder unkontrolliert in Ausbrüchen, die meist den Falschen treffen, nicht selten das eigene Kind, oder „implodiert“ nach innen, in Form von Selbstverletzung, Selbsttötung, Depression, psychosomatischen Erkrankungen. Aggression ist das autonome Gefühl schlechthin, bildlich gesprochen der „Hofhund“ der darüber wacht, daß das eigene Terrain, der eigene „Hof“ nicht von Unberechtigten betreten wird, das eigene Gut nicht verletzt oder beschädigt wird. Eine intakte Aggression ist auch für eine flexible Nähe-Distanz-Regulation erforderlich.

„Maligne Verschmelzung“
Besonders ausgeprägt ist diese Beeinträchtigung von Identität und autonomer Wahrnehmung bei einer „malignen“ (bösartigen) symbiotischen Verschmelzung mit einem oder beiden (!) Eltern, die als „Überlebensstrategie“ in bestimmten kindlichen Beziehungskonstellationen entsteht, unter anderem regelmäßig bei Traumatisierung.
Ich bezeichne dieses Phänomen als „Verschmelzung“, da im setting des Familienstellens der Klient sich regelmäßig am Platz des Elternteils „besser auskennt, als an seinem eigenen Platz“! Es scheint, daß er die Welt und sich selbst sozusagen aus der Perspektive, „durch die Augen“ der Mutter /des Vaters sieht, als stecke er in ihnen darin!
Als „maligne“ könnte man diese Verschmelzung deshalb bezeichnen, weil sie immer mit einem „verinnerlichten Autonomieverbot“ verbunden ist.

„Benigne Verschmelzung“
Im Unterschied dazu ist in bestimmten Situationen eine „benigne“ (gutartige) Verschmelzung für die Entwicklung der eigenen Identität und Autonomie förderlich. Zu diesen gutartigen Formen von Verschmelzung oder Identifikation mit einer anderen Person gehören:

  • Die Mutter-Kind Symbiose, die es der Mutter ermöglicht, die autonomen Gefühle und Bedürfnisse des Säuglings zu erspüren.
  • Die Identifikation eines Kindes mit einem Elternteil, durch die es oft spielerisch, sich die Rolle eines Erwachsenen aneignet, als Vorbereitung und Voraussetzung für eine eigene erwachsene Identität.
  • Die Verschmelzung eines Liebespaares, das sich gegenseitig „die Wünsche von den Augen abliest“. Dieser kostbare Zustand ist meist mit einer Stärkung von Selbstgefühls, des Antriebs und eigener Kreativität verbunden.

Aus meiner Sicht kann eine solche „benigne“ Symbiose nie in eine „maligne“ Symbiose  übergehen, mit einer allerdings entscheidenden Ausnahme:
Wenn in einer derartigen Verschmelzungsphase der Andere weggeht oder stirbt, entsteht für den Zurückgebliebenen eine schmerzhafte Wunde, ähnlich einer Amputation, die bisweilen nie mehr heilt
Wenn der Betreffende selbst Kinder hat, spüren sie diese Wunde und die Erwartung an sie, diese Wunde zu heilen, die Lücke wie eine Prothese auszufüllen. Diese Kinder können dadurch in eine „maligne“ Verschmelzung mit dem Elternteil geraten, sich mit dessen unausgesprochenen Erwartungen identifizieren – „falsches Selbst“ – und erleben die eigenen autonomen Impulse dann als bedrohlich, müssen sie daher unterdrücken.
Warum einige – und nicht alle! – Kinder diese Überlebensstrategie entwickeln, ist nicht klar, vielleicht gibt es tatsächlich so etwas wie eine biologische Disposition für diese Reaktion!?

Verwirrung
Mit der „malignen“ Verschmelzung ist also gesetzmäßig eine Autonomiestörung verbunden, das heißt die Unterdrückung eigener (autonomer) Gefühle, Bedürfnisse, Handlungsimpulse.  Daraus ergibt sich notwendigerweise eine schwere Störung der autonomen Orientierung, eine Verwirrung. Die Betroffenen versuchen diese  Orientierungsstörung durch verstärkte Außenorientierung bis hin zur symbiotischen Verschmelzung mit einem Gegenüber zu kompensieren. Da sie den eigenen „Kompaß“ nicht mehr zur Verfügung haben, müssen sie sich nach Außen, nach „fremden Uhren“  orientieren, nach dem jeweiligen „Gegenüber“, das in jeder neuen Situation wechselt, – was sie ins Chaos führt, – oder nach starren Wertsystemen, Ideologien, mit denen sie sich kritiklos identifizieren – verschmelzen.
Symbiotische Verschmelzung ist also einmal Ursache einer Autonomiestörung und kann häufig auch deren Folge sein.

Trauma und Hass

Hass und Mordfantasien sind meist Folge einer seelischen oder körperlichen Traumatisierung. Die Betroffenen geraten durch die damit verbundenen heftigen Schuldgefühle in ein scheinbar unlösbares Dilemma: Wenn sie zu ihrer Wut, zu ihrem Hass, zu ihren Mordfantasien stehen, kann das lebensgefährlich sein, riskieren sie Ausgrenzung, moralische Verurteilung. Sie fühlen sich dafür schuldig, als hätten sie nicht mehr das Recht, die Liebe der Eltern – und anderer Menschen – zu nehmen.  Um das zu vermeiden, unterdrücken sie oft Wut und Hass und bereits die Erinnerung an das Trauma.
Sie haben scheinbar nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera. Da sie als Kind von der Nähe und Zuwendung der Eltern abhängig sind, entscheiden sie sich in der Regel für den „Verrat am Selbst“ 2.

Aus diesem Teufelskreis von Hass, Schuldgefühlen, Selbsthaß können sie sich selbst oft nicht befreien. Diese Dynamik scheint maßgeblich für die Entstehung von schweren Depressionen, Borderlinestörungen und Psychosen zu sein.

Wenn nicht vordergründige Versöhnung, sondern die Unterstützung der autonomen Wahrnehmung das Ziel einer Therapie ist, dann werden destruktive Tendenzen wie Hass, Todeswünsche etc.  nicht mehr primär als Hindernis für die wünschenswerte Versöhnung mit den Eltern verstanden. Sie können als geradezu kostbarer Rest einer gestörten Autonomie gesehen werden, als verzweifelter Abgrenzungsversuch gegen eine überwältigende – meist elterliche – Destruktion.
Einzelne Aspekte dieser Dynamik wurden bereits von anderen Therapeuten beschrieben – z.B. Arno Gruen 2 und Stavros Mentzos 3, Alice Miller 4.
Das „prozeßorientierte Familienstellen“ scheint besonders geeignet, diese Zusammenhänge sichtbar und dadurch bewußt zu machen und durch einen Lösungsprozeß mit archaischen Ritualen und Lösungs-Dialogen dem Klienten einen Weg aus seinem Dilemma aufzuzeigen.

Ich werde zunächst  die  Funktion von Wut und Hass für  die Autonomie des Klienten erläutern, so wie es sich mir aufgrund meiner Erfahrungen darstellt.
Dann beschreibe ich die Lösungsstrategie anhand eines Beispiels und die von der Klientin beobachteten Veränderungen.

Abschließend diskutiere ich die Bedeutung dieser Beobachtungen und Überlegungen für das Familienstellen als therapeutische Methode.

„Systemische“ Funktion von Wut und Hass

Die Erfahrung von körperlicher oder seelischer Verletzung durch einen ebenbürtigen Aggressor löst massive Wut und Hass bis zu Mordfantasien aus. Diese Gefühle wiederum können gezielte und kontrollierte Abgrenzungs- und Abwehrbewegungen bewirken, welche im günstigen Fall dazu führen, daß der ursprüngliche Angreifer sein verletzendes Verhalten einstellt. Wut und Hass sowie Impulse, sich zu wehren bis hin zu Mordimpulsen können als autonome und angemessene Reaktionen im Rahmen einer Selbstregulation innerhalb einer Beziehung verstanden werden.

Angemessen, weil sie den Betreffenden dazu befähigen, sich gegenüber einem ebenbürtigen Gegenüber abzugrenzen, ihn dazu zu bringen, seine Gewalt einzustellen.
Autonom, weil sie geeignet sind, das eigene Leben, die eigene Handlungsfähigkeit, die Selbstachtung und Würde zu erhalten.

Täter-Opfer-Dynamik

Ganz anders wenn das Opfer dem Täter unterlegen und/oder emotional von ihm abhängig ist. Dies ist immer der Fall bei Gewalt und Mißbrauch in der Familie und Schule, in bestimmten Sekten – Zeugen Jehovas, Traumatisierung durch Drohung mit „Armaggedon“- , aber auch im Gefängnis, im Krieg z.B. bei Folter oder in Gefangenenlagern.

Ängste und Schuldgefühle

In der konkreten Konfrontation mit dem überlegenen, bisweilen unberechenbarem Aggressor können Hassgefühle und Impulse, sich zu wehren,

  1. lebensgefährlich sein, dann sind sie mit Todesangst verbunden,
  2. mit emotionalem Rückzug, Liebesentzug „bestraft“ werden, dann lösen sie Verlassenheitsängste aus,
  3. von einem übermächtigen Gegenüber als verwerflich und schuldhaft abgewertet werden, dann führen sie zu heftigen Schuldgefühlen und Selbstwertproblemen.

Überlebensstrategien des Opfers

Diese Todesängste und Schuldgefühle bleiben an die Gefühle von Wut und Hass gekoppelt, ja sie verbinden sich bereits mit den Erinnerungen an das Trauma. Um diese vernichtenden Ängste, die Schuld- und Unwertgefühle zu vermeiden, bleibt als Überlebensstrategie nur übrig, eigene Wut- und Hassgefühle und Mordimpulse zu unterdrücken und bereits die Erinnerung an die eigenen Verletzungen zu leugnen, ins Unbewußte, ins „Körpergedächtnis“ zu verdrängen, abzuspalten.
Diese Dynamik könnte man als „verinnerlichtes Autonomieverbot“ bezeichnen. Die verdrängten Erinnerungen und Gefühle sind nicht integriert, können durch äußere Auslöser aktiviert werden und dann den Klienten überfluten.
Das Trauma wird vom Opfer bisweilen umgedeutet als angemessene Reaktion auf eigenes Fehlverhalten, der Traumatisierte übernimmt die Perspektive des Aggressors – „Identifikation mit dem Aggressor“ (Anna Freud).
Eigene Impulse der Gegenwehr, der Gewalt werden unterdrückt, „eingefroren“, werden ebenfalls vom Unbewußten, vom „Körpergedächtnis“ gespeichert.
Der Betreffende bleibt so in der Opferrolle gefangen, bleibt verbunden mit dem Täter-Opferthema als Opfer oder – bei unkontrolliertem Durchbruch der gestauten Aggression – auch als Täter.

Autonomieverlust und symbiotische Verschmelzung

Diese Überlebensstrategie bei Trauma ist immer mit einer Einschränkung der eigenen, autonomen Erinnerung, der Wahrnehmung eigener, autonomer Gefühle und Impulse verbunden, besonders der aggressiven Gefühle und Fantasien. Das heißt, eine autonome Orientierung und Selbstorganisation ist eingeschränkt oder aufgehoben. Das betrifft vor allem auch die Nähe-Distanzregulation im Kontakt.
Orientierung ist dann nur noch über andere möglich –Tendenz zur symbiotischen Verschmelzung. Das beginnt mit der „Identifizierung mit dem Aggressor“.
Die Tendenz zur symbiotischen Verschmelzung bestimmt auch alle späteren Kontakte und erklärt die oft heftigen Beziehungsstörungen der Betroffenen.

Die vier Aspekte des „Verschmelzungssyndroms“

Zur symbiotischen Verschmelzung gehören folgende vier Aspekte5, die sich in unterschiedlichem Mischungsverhältnis bei allen symbiotischen Beziehungs-Störungen beobachten lassen:

1. eingeschränkte Abgrenzung
2. eingeschränkte Selbstwahrnehmung – besonders der unterdrückten Aggression,

sowie, als „Kompensationsmechanismen“, um weitere Verletzungen durch Beziehungs-Katastrophen zu verhindern:

3. Überabgrenzung
4. “dominantes Verschmelzen“, die Tendenz, andere zur Anpassung und Abhängigkeit zu manipulieren, um die eigene Abhängigkeit nicht zu spüren.

Das Verschmelzungssyndrom mit diesen Aspekten kann als „Leitsymptom“ einer Autonomiestörung verstanden werden.

Außer der frühen Erfahrung von Gewalt und sexuellem Übergriff gibt es drei weitere typische frühkindliche Beziehungs-Konstellationen, die zum Verschmelzungssyndrom und zu einer Autonomiestörung führen können:

  • die überfürsorgliche, übergriffige Mutter,
  • ein emotional nicht erreichbarer Elternteil,
  • die unbewußte Identifizierung mit einem früh verstorbenen Geschwister.

Psychiatrische Erkrankungen

Psychiatrischen Erkrankungen wie schwere Depression, Sucht, Borderlinestörung, Psychose  sind – immer? – mit Autonomiestörungen und einer Tendenz zur symbiotischen Verschmelzung verbunden. In der Anamnese findet sich bisweilen ein seelisches oder körperliches Trauma. Da typischerweise  jedoch die Erinnerung an ein Trauma verschüttet ist, neigen manche Therapeuten dazu, bei Borderline-Syndrom oder Eßstörung immer auf Inzest zu schließen, nicht selten zu Unrecht, was dann den Klienten zusätzlich verwirrt.

Trauma ist jedoch nicht die einzige Ursache psychiatrischer Erkrankungen. Andere typische frühkindliche Beziehungs-Konstellationen, die zu Autonomiestörung und Verschmelzungssyndrom – und damit zu psychiatrischen Erkrankungen führen können, wurden oben genannt.

TRAUMATHERAPIE

Nach diesen Ausführungen erscheints es plausibel, daß eine wirksame Traumatherapie darauf abzielen sollte, die Autonomie des Klienten wiederherzustellen.

Das betrifft insbesondere folgende Aspekte:
Die Erinnerung an das Trauma unterstützen,
Autonome Gefühle wie Hass und Wut wieder zulassen,
Autonome Impulse, sich zu wehren, auch Mordimpulse gegen den Täter in einem geschützten Rahmen zulassen.
Meist hat der Klient dagegen einen starken Widerstand, da die alten Ängste – Tod, Verlust, Schuld – wieder geweckt werden. Es brauch viel Mut und Vertrauen seitens des Klienten, um sich auf einen solchen Prozeß einzulassen.
Die Vielzahl fremder Menschen  in einem Aufstellungsseminar ist für ihn zunächst beängstigend. Da alle Teilnehmer ein eigenes Anliegen haben, für dessen Lösung sie die Unterstützung der anderen brauchen, entsteht in der Gruppe sehr schnell eine Atmosphäre von Achtung, Offenheit, Solidarität, ja Liebe. Dies gibt dem traumatisierten Klienten Schutz. Immer wieder kann er erleben, wie der Leiter behutsam und verständnisvoll mit traumatisierten Klienten umgeht, wie erleichtert die Klienten, gerade auch solche mit Trauma-Erfahrung nach dem Prozeß sind. Das läßt sein Vertrauen und Mut wachsen.
Auch Heilung kann ansteckend sein.

Die Rolle von Hass und Mordimpulsen für den Lösungsprozeß

Wut, Hass und Mordimpulse, insbesondere wenn sie in der aktuellen Situation nicht angemessen erscheinen, können immer Hinweis auf eine erlittene Traumatisierung mit Autonomieverlust und Abspaltung ursprünglich angemessener Hassgefühle und Mordimpulse sein. –  Aber auch das Fehlen jeglicher bewußter aggressiver Gefühle kann Hinweis auf erlittenes Trauma sein!
Wenn diese Hass-Gefühle und Mord-Impulse von einem naiven Therapeuten – um eine rasche Versöhnung zu erreichen – als unzulässig oder gar schuldhaft gewertet werden, wird der Klient erneut traumatisiert. Die bereits vorhandene Verdrängung autonomer Impulse wird verstärkt. Seine Autonomieentwicklung wird nicht unterstützt sondern erneut blockiert.

Wut, Hass und Mordimpulse können aber als wertvolle, wenn auch verformte Relikte einer beeinträchtigten Autonomie verstanden werden. Dann können sie wie ein „Ariadnefaden“ durch das Labyrinth, durch das Gefühlschaos dienen, um die Erinnerung an das erlittene Trauma zu ermöglichen, die damit verbundenen Gefühle und Impulse zuzulassen und im geschützten Raum einer Gruppe auszudrücken.
Das macht den Wert und die „Würde“ von Hass und Mordimpulsen aus!

Das „prozeßorientiert Familienstellen“ scheint besonders geeignet, um die Dynamik bei Autonomieverlust auch dem Klienten sichtbar und bewußt zu machen und durch Lösungsangebote eine Neuorientierung zu unterstützen.
Das soll an einem Beispiel gezeigt werden.

Fallbeispiel

Frau S. kam vor 15 Jahren wegen einer paranoid-halluzinatorischen Psychose in meine Behandlung.
Die damals etwa 25jährige, freundliche, aparte Frau stammt aus Osteuropa, sprach erstaunlich gut Deutsch und konnte differenziert ihre Lebensgeschichte und ihre Beschwerden schildern.
Sie  berichtete von verwirrenden Geschichten mit einem Geheimdienst, die schwer zu überprüfen waren. Sie war nicht arbeitsfähig und hatte keine Beziehungen. Unter Neuroleptika-Medikation war sie frei von akut psychotischen Symptomen.
Auffallend war bei dieser Frau etwas Schwebendes, dem Alltag Entrücktes, fast Engelhaftes. Sie schien frei von jeder Aggression zu sein. Wenn sie von selbst erlebtem Unrecht, von Mißhandlung und Mißbrauch sprach, geschah dies auf eine eigenartig distanzierte, kontrollierte Weise als beträfe es gar nicht sie selbst.

Eine erste Aufstellung führte zu keiner wesentlichen Veränderung. Sie wechselte dann zu einem anderen Fachkollegen, nahm weiter Psychopharmaka.
Vor zwei Jahren kam sie wieder in meine Behandlung. Ich empfahl ihr eine erneute Aufstellung, bei der ich mich auf die Beziehung zu ihrem Vater beschränkte.

Das darf ich dir nicht verzeihen

Frau S. wurde von ihrem Vater mißhandelt und mißbraucht.
Sie sucht einen Vertreter für ihren Vater auf und stellt sich zu ihm in Beziehung. Die bevorstehende Konfrontation mit der Erinnerung löst Gefühle von Angst und Ohnmacht aus.
Um sie zu unterstützen, fordert der Leiter sie auf, eine Vertreterin für „Mutter Erde“ auszusuchen und als Unterstützung sich in den Rücken zu stellen.

Tatsächlich werden viele Gewaltopfer als Kinder von beiden Eltern im Stich gelassen und finden Zuflucht und emotionale Stabilität bei Bekannten oder bei Tieren, in der Natur. Das Setting des Familienstellens ermöglicht in eleganter Weise, solche „Ressourcen“ szenisch und emotional mit einzubeziehen.

Als erstes wird sie vom Leiter dabei unterstützt, dem „Vater“ – Stellvertreter – ins Gesicht –zu sagen: „Du hast mir so weh getan, du hast mich so verletzt!“
Bereits diese Sätze lösen eine starke Gefühlsreaktion – Schmerz, Wut, Scham, Trauer –aus.
„Das hättest du nicht tun dürfen, ein Vater darf so etwas nicht tun!“
 Dieser Satz ist wichtig, da sich ein Klient fast immer für das erlittene Schlimme schuldig fühlt.
„Das darf ich dir nicht verzeihen!“
Dieser Satz ist für viele – nicht nur Klienten – anstößig. Aber er ist entscheidend wichtig.
Verzeihen ist etwas Gnädiges, der Klient zieht sich aus dem realen Kontakt heraus, stellt sich damit über den Täter, als sei er besser als er.
Weiter ist damit oft die Illusion verbunden, als könne etwas ungeschehen gemacht werden. Schließlich erhält das bereits vorhandene Wahrnehmungsverbot für die eigenen Gefühle den „Heiligenschein der Versöhnung“, und wird so verfestigt.

Als nächstes fragt der Leiter die Klientin, ob sie den Vater gehaßt, ihm den Tod gewünscht hat. Als sie unter Tränen nickt, schlägt der Leiter ihr die Sätze vor:
„Ich habe dich dafür gehaßt, ich habe dir den Tod gewünscht!

Und ich stehe dazu!“

Auch hier stockt die Klientin. Sie fühlte sich ja schon für ihre damaligen Gefühle von Hass schuldig. Jetzt soll sie noch dazu stehen?
Die hier angewandte therapeutische Strategie läßt sich auf die Formel reduzieren: „es war in Ordnung so wie es war, nichts muß geleugnet oder bewertet werden. Auch Gefühle von und Mordfantasien waren da und dürfen da sein.“
So kommt  die Wahrnehmung und die Erinnerung der Klientin zu ihrem Recht. Das rigide Wahrnehmungs-  und Erinnerungs-Verbot wird endlich bewußt gemacht und als unzutreffend entlarvt.

Das Lösen der „Verschmelzung“

Als nächstes überprüft der Leiter, ob die Klientin „sich am Platz des Vaters auskennt“, d.h. mit ihm verschmolzen ist, seine Perspektive übernommen hat, sich selbst und die Welt „durch Vaters Augen sieht“.
Dies ist auch hier – wie fast immer bei Gewalt – und Mißbrauchserfahrung – der Fall.
Um die Verschmelzung zu lösen, wendet der Leiter zunächst die „einfache Form“ an. Er sagt zur Klientin, daß sie mit ihrer Energie offenbar noch bei ihrem Vater ist und ob sie nicht „aus ihm heraussteigen“ möchte.
Natürlich bejaht sie. Nachdem sie an ihrem Platz zurück ist, spricht sie die vorgeschlagenen Sätze des Leiters nach:

„Du bist du und ich bin ich. Du hast dein Schicksal, ich habe meins. Du hast dein Leben gelebt und ich lebe meins. Und ich bin deine Tochter!“

Obwohl ihr die Sätze leicht von den Lippen zu gehen scheinen, fragt der Leiter: glaubst du das auch? und sie schüttelt verlegen lächelnd den Kopf. Diese Reaktion auf die „Testsätze“ zeigt: Offensichtlich handelt es sich hier um eine sehr hartnäckige Verschmelzung.

Zur Lösung ist ein stärkeres Ritual erforderlich, mit dem Einsatz einer Trommel. Der Leiter erklärt ihr, was nun geschieht und nachdem sie zugestimmt hat, bindet der Leiter mit Hilfe eines Schals sie und den „Vater“ zusammen, um die Verschmelzung zu symbolisieren. Die Trommel kräftig schlagend geht er um die beiden herum –  „um die Ich- Kräfte zu wecken“ – trennt die beiden und geht dann noch einmal um die Klientin mit der Trommel herum. Sie sagt die gleichen Sätze wie zuvor – und nun stimmen sie!

Die Verwendung der Rahmentrommel innerhalb eines Therapieseminars mag für manche zunächst befremdlich oder anstößig sein. Alle Teilnehmer sind aber schnell von der unterstützenden Wirkung der Trommel überzeugt. Sie scheint unter anderem das aggressive Potential zu mobilisieren, das für die Abgrenzung erforderlich ist.

Die Lösung der malignen Verschmelzung, die Erfahrung, das Recht auf eine eigene Identität, eigene Autonomie zu besitzen, verhilft der Klientin zu einem sicheren „inneren“ Raum und ist ganz entscheidend für die nachfolgende Beziehungsklärung.

Die Rückgabe-Rituale

Mit der Verschmelzung ist nach meiner Erfahrung zwangsläufig verbunden, daß die Klientin mit ihrer Energie, mit ihrer Wahrnehmung beim Vater ist, daß sie seine Gefühle von Schuld und Verwirrung trägt, „als seien sie ihre eigenen“.
Durch die folgenden Rituale wird szenisch der  Vorgang der Abgrenzung, der Unterscheidung zwischen mein und dein, ich und du dargestellt und gleichzeitig der entsprechende innere Vorgang auf einer unbewußten Ebene angestoßen. So kann quasi ein Kristallisationskern für eine eigene Identität entstehen.

Ein schwerer Stein symbolisiert Vaters Zerrissenheit, seine Schuld, seine Verantwortung.
„Vater, das ist Deines, ich wollte es tragen als wäre es Meins. Jetzt sehe ich daß es Deines ist. Die Achtung für dich erfordert, daß ich es wieder ganz bei dir lasse.“
 Der „Vater“ kann den Stein gut nehmen. Die Klientin ist entlastet.
Der Leiter schlägt dem „Vater“ folgende Sätze vor:
„Kind, das ist Meines, das muß bei mir bleiben. Ich sehe jetzt, daß ich dir sehr Schweres zugemutet habe. Ich wußte es nicht anders. Es hat gar nichts mit dir zu tun!“
An der Reaktion der Klientin sieht der Leiter, ob die Sätze stimmig sind. Die Klientin – und das ist die regelmäßige Erfahrung –  fühlt sich entlastet.

Rückgabe verlorener Seelenenergie

Als nächstes wird die Rückgabe der „verlorenen Seelenenergie“in einem archaischen Ritual vollzogen.

Unsere deutsche Sprache kennt den Ausdruck: „ein Teil von mir ist noch bei ihm, ich bin nicht ganz bei mir“ oder: „ich fühle mich noch verunreinigt, schmutzig, als sei ein Teil seiner Energie noch in mir.“
Auch dieser innere Abgrenzungsvorgang, der für das Gefühl von Selbstwert und Klarheit so wichtig ist, kann durch einen symbolischen szenischen Akt – eben ein archaisches Ritual – ausgelöst, unterstützt werden.

Der „Vater“ gibt der Klientin, nachdem sie dieser Vorgehensweise zugestimmt hat,  in einem Ritual die verlorene Seelenenergie zurück.

Falls die Nähe des „Vater´s“ – Stellvertreter – zu bedrohlich für die Klientin ist, kann dies Ritual auch stellvertretend von „Mutter Erde“ übernommen werden.
Wird dies Ritual achtungsvoll vollzogen, dann ist meist sofort eine tiefe entspannende, versöhnende, eine buchstäblich heilende Wirkung bei der Klientin festzustellen, so als wäre sie wieder vollständig, ganz bei sich.
Bisweilen ist es noch sinnvoll, daß die Klientin übernommene Energien des Täters diesem aus der Distanz zurückatmet.

„Ich zeige dir, wie ich mich wehren kann“

Als nächstes geht es darum, die abgespaltenen, im Körpergedächtnis gespeicherten, „eingefrorenen“ aggressiven Impulse, des Sich –Wehrens, Sich-Schützens wieder zu befreien.
Eingeleitet wird dieser Vorgang durch die vom Leiter vorgeschlagenen Sätze:

„Vater, damals konnte ich mich noch nicht wehren, damals war ich klein. Jetzt bin ich erwachsen, jetzt bin ich stark. Ich laß mir nichts mehr gefallen, von niemanden!“

Auch wenn diese Sätze –noch – nicht ganz stimmen, sie ermöglichen eine Veränderung der inneren Haltung, die durch die Wiederholung der Sätze verstärkt wird.

Der Leiter fragt dann die Klientin: „willst du dem Vater zeigen, wie du dich jetzt wehren kannst?“
Es ist immer wieder verblüffend, zu sehen, wie diese einfachen Sätze das Gesicht einer Klientin eines Klienten verändern. Der zunächst noch resignierte Ausdruck wechselt in Sekundenschnelle: ein ungläubiges Lächeln huscht über das Gesicht. Wenn dann der Leiter den Vorschlag wiederholt, dann blitzt in den Augen eine ungeahnte Lebendigkeit, der Körper verändert seine Haltung, richtet sich auf, bekommt Festigkeit.
„Du darfst – natürlich ohne zu verletzen – den „Vater“ bei den Schultern anfassen und ihn und ein bis zwei hinter ihm stehende Männer zurückstoßen, mit aller Kraft.!“
Und es ist eindrucksvoll, wie selbst zierliche Klientinnen die drei Mannspersonen durch den Raum schieben können.
Die Klientin ist nach diesem Ritual wie befreit, sie strahlt zufrieden. „Reicht dir das schon?“ fragt der Leiter.

Oft braucht es noch eine oder gar zwei Wiederholungen, bis die Klientin diese Erlaubnis, sich zu wehren und die damit verbundene Befreiung verinnerlicht, in ihrem „Körpergedächtnis“ gespeichert hat.
Fast immer – und das ist schon bemerkenswert – hat sie nun keine Angst mehr vor dem „Vater“. Die zu Beginn der Aufstellung noch spürbare Angst vor dem „Vater“ –vor Rache, Tod, Verlassenheit, Selbstwertverlust – ist verschwunden.
Die unheilvolle Koppelung von Wut, Hass mit Schuld- und Unwertgefühlen ist gelöst.
Sie kann sich ihm jetzt nähern, kann seine Nähe zulassen. Und sie verspürt – vielleicht nach langer Zeit zum ersten mal den alten, tiefen Wunsch, Vaters Liebe zu spüren, in einer Umarmung zu erfahren !

Je größer der Hass, desto größer die verletzte Liebe!

Lösung der Schuldgefühle

Meist stehen dem Fließen der Liebe noch eigene Schuldgefühle entgegen. Das Setting der Aufstellung ermöglicht eine Lösung durch einen „Lösungs-Dialog“:
Der Leiter läßt die Klientin – falls es für sie stimmig ist – zum „Vater“ sagen
„Vater, ich habe dich gehaßt, dir den Tod gewünscht. Vielleicht fühle ich mich unbewußt dafür schuldig, als dürfte ich deine Liebe nicht mehr nehmen…nicht mehr deine Tochter sein…..als dürfte es mir nicht mehr gut gehen!“
Dem „Vater“ schlägt der Leiter den Satz vor:
„Kind ich bin dir überhaupt nicht böse. Eher  fühle ich mich schuldig, als dürfte ich nicht mehr dein Vater sein!“
Diese Sätze haben eine unglaublich tiefe, befreiende und entlastende Wirkung. Auf die Frage des Leiters: „darf er noch dein Vater sein?“ nickt sie unter Tränen, nähert sich ihm und spürt das Bedürfnis, von ihm in die Arme genommen zu werden.
Endlich ist die Falle geöffnet, der lähmende Teufelskreis von Hass und Schuldgefühlen unterbrochen.
Die Liebe kann wieder fließen. Die Klientin kann sich mit dem Vater, mit ihrem Schicksal, versöhnen, weil sie ihre Autonomie, ihre Würde  wiedergefunden hat.  Sie darf ihre Erinnerung, ihre Gefühle, ihre Impulse wieder spüren, weil sie richtig waren.
Vor der Versöhnung mit dem Täter steht die Versöhnung mit sich selbst!

Versöhnung auf Distanz

Nicht immer ist jedoch diese Nähe und Versöhnung möglich und erlaubt. Wenn der Täter sadistische oder mörderische Impulse hatte, dann ist es oft wichtig, daß der Klient sich davor schützt, z.B. mit dem Satz „Ich achte das Leben, das ich von dir habe, indem ich es vor die schütze“. Dieser Satz macht die Verbindung von Achtung und Selbstschutz möglich.
Nach meiner Erfahrung kann eine Psychose ausgelöst werden, wenn ein unprofessioneller Therapeut dem Klienten diesen lebenswichtigen Selbst-Schutz nimmt bzw. nicht ermöglicht.

Rückmeldung der Klientin

Innerhalb des folgenden Jahres macht die Klientin eine erstaunliche Entwicklung durch.
Als erstes berichtet sie, wie merkwürdig, ja unheimlich es für sie war, Gefühle von Wut und sogar Hass zu spüren, die ihr bisher – so meinte sie jedenfalls –völlig fremd waren. Mit Unterstützung einer Therapeutin gelang es ihr immer besser, diese Gefühle anzunehmen und herauszufinden, welche Erlebnisse und Erfahrungen diese Gefühle ausgelöst hatten. So konnte sie Wut und Hass dort lassen, wohin sie gehören. Zunehmend verlor sie das kontrollierte, Erstarrte, Manieristische, das sie zuvor hatte. Sie wurde lebendiger, natürlicher. Sie lernte einen Mann kennen und begann zum ersten mal eine Beziehung.
Die Dosis der eingenommenen Neuroleptika konnte schrittweise reduziert werden.

Zusammenfassende Überlegungen

Dies Beispiel zeigt, für viele andere, die hohe Wirksamkeit des Familienstellens in der hier dargestellten Form.
Das Setting des Familienstellens:

  • das Stellen des Familienbildes mit Hilfe von Stellvertretern,
  • die stellvertretende, spiegelnde Wahrnehmung der Stellvertreter,
  • die archaischen Rückgabe- und Abgrenzungsrituale,
  • die Verwendung ritualisierter Lösungsdialoge

ermöglichen einen „endoskopischen“ Zugang zu den prägenden ersten Beziehungen des Klienten zu Eltern und Geschwistern.

Es wird dem Klienten, aber auch den anderen Teilnehmern und dem Leiter immer wieder sichtbar und bewußt, wie sehr und wodurch die Entwicklung einer eigenen , autonomen Wahrnehmung – als Voraussetzung für Individuation und Wachstum – durch Anpassungs- und Überlebensstrategien des Klienten beeinträchtigt wurde.
Eine zentrale Rolle spielt dabei das Phänomen der malignen Verschmelzung. Durch das Familienstellen wird deutlich, – wenn man darauf achtet! – daß die meisten unserer Klienten nicht an ihrem angemessenen Platz stehen. Sie vertreten meist für die Eltern einen oder mehrere früh verstorbene Familienangehörige oder einen emotional nicht präsenten Partner („Identifikation“, „falsches Selbst“). Nicht genug, sie „stehen“ oft „am Platz“ eines – oder beider – Eltern, so als sähen sie sich und die Welt „durch Vaters/Mutters Augen“ (Verschmelzung).
Man kann diese Phänomene als Anpassungs- und Überlebensstrategien verstehen, als den verzweifelten Versuch des Klienten, zu einem emotional schwer erreichbaren Elternteil zumindest die Illusion von Kontakt zu bekommen.
Diese Strategien werden aber Modell für spätere eigene Beziehungen, sind die Ursache für Beziehungsstörungen und sie erschweren die Entwicklung einer eigenen Identität, einer eigenen Wahrnehmung, – der eigenen Autonomie, als Voraussetzung für eine autonome Selbstorganisation, Selbstregulation. Wachstum und Kontakt – bei dem jeder sich dem anderen als der zeigen kann, der er ist – sind erschwert oder unmöglich.

Lösungen

Die Methode des Familienstellens macht aber nicht nur Art und Ausmaß der Verstrickungen deutlich, sie ermöglicht auch spezifische Lösungsstrategien. Durch archaische Rituale und durch ritualisierte Lösungsdialoge kann in verdichteter Form ein Veränderungsprozeß initiiert werden, der den Klienten unterstützt, sich aus Symbiosemustern zu lösen, und Schritt für Schritt zu sich selbst, zu seiner eigenen Wahrnehmung, seiner eigenen Identität, zu seiner Autonomie zu gelangen.

Hass und Wut

Diese Ausführungen machen deutlich, in welchem Ausmaß seelisches und körperliches Trauma die Autonomieentwicklung des Betroffenen massiv beeinträchtigen kann.
Alle schweren, „psychiatrischen“ Störungen sind mit Autonomiestörung und Symbiosetendenz verbunden, sind nicht selten – aber auch nicht immer! –  Folge von frühen Traumatisierungen.
Wenn Hass und Wut als Relikt einer erheblich beeinträchtigten autonomen Abgrenzungsreaktion verstanden und gewürdigt werden, dann bekommen sie einen Wert dadurch, daß sie den Zugang zum Trauma, zum Schmerz ermöglichen und die Wiederherstellung der eigenen Autonomie initiieren.
Hass und Wut sind immer Ausdruck einer verletzten Autonomie, sie können den Weg durch das Gefühlschaos hin zur verschütteten Autonomie zeigen.
Diese Zusammenhänge könnte man, unter Bezug auf, aber auch als „kontrapunktische“ Ergänzung zu Hellingers „Ordnungen der Liebe“, als Ordnungen des Hasses bezeichnen. Das Finden zur eigenen Autonomie ermöglicht eine Versöhnung mit sich selbst und ist die Voraussetzung für eine nachhaltige Versöhnung mit den Eltern.

Verlust der Seele?

Die Verwendung „archaischer Rituale“ mag zunächst befremden. Ich erlebe sie als sehr hilfreich, bin immer wieder überrascht von der Tiefe der Wirkung auf die Seele. Die moderne Psychologie hat den Begriff der Seele, der den eigentlichen Gegenstand ihrer Bemühungen bezeichnet hat,  erfolgreich beseitigt, unter dem Einfluß eines auf das Meßbare reduzierenden Wissenschaftsbegriffes, der die „Psyche“ mehr und mehr als komplexes Konglomerat von kognitiven, perzeptiven, kommunikativen Funktionen versteht, die der Adaptation dienen6. Und parallel zum Verschwinden des Begriffes der Seele im Sprachgebrauch scheint sich ein schleichender Verlust der Seele selbst anzubahnen, der von den Psycho-Spezialisten gar nicht wahrgenommen werden kann, weil sie den Begriff bereits verloren haben.
Ein bizarrer Vorgang!

Für mich ist der Begriff der Seele, gerade aufgrund meiner Erfahrungen mit dem Familienstellen, unverzichtbar, als Hinweis auf eine individuelle zentrale Instanz mit eigener Erinnerungsfähigkeit, die  Bewußtes und Unbewußtes umfasst und auch zu Bereichen jenseits von Geburt und Tod Zugang hat. Sie ist auch das “Organ” des  „siebten Sinnes“7.
Die lebenslängliche unbewußte verschmelzende Bindung an ein früh verstorbenes Geschwister zum Beispiel, das man selbst nie kennengelernt hat, und die damit verbundene, das ganze Leben bestimmende Sehnsucht nach einer verschmelzenden Beziehung, die ohne Abschied von diesem Geschwister immer unerfüllt bleiben muß, ist für mich ohne den Begriff „Seele“ nicht verständlich.
Unsere Seele hat sich seit der Steinzeit nicht wesentlich verändert. Und die archaischen Rituale sind für sie die offenbar passende „software“, die sie, ebenso wie die  Sprache der Märchen und Mythen versteht, besser jedenfalls als manche Begriffe unserer computergeprägten Zeit.
Sind wir alle vielleicht in der Gefahr, uns selbst mit unseren Kreaturen, den Computern zu identifizieren, uns auf ihren Komplexitätsgrad zu reduzieren, mit ihnen „maligne“ zu verschmelzen??!!
Ist vielleicht die „wissenschaftliche“ Vorstellung vom Tod als endgültigem Ende der Existenz in dem Sinne, als sei der Verstorbene so nicht existent, als wäre er nie dagewesen, der tiefere Grund dafür, daß unsere Seele sich – seit Generationen – nicht mehr von ihren verstorbenen Angehörigen verabschieden kann?!! Mit der Konsequenz, daß unsere Kinder für uns diese nicht verabschiedeten Verstorbenen vertreten müssen und dadurch in ihrer Identität verwirrt werden??!!
Brauchen wir eine neue Aufklärung, die uns vom destruktiven Reduktionismus einer vermeintlichen Aufklärung befreit??!!
Könnte die Berücksichtigung dieser Zusammenhänge eine Seelen-Heilkunde ermöglichen, die diesen Namen wirklich verdient??!.
Wäre nicht eine modifizierte Form des Familienstellens hervorragend geeignet,  dazu einen wesentlichen Beitrag zu leisten??!!

Effizienzprüfung

Um die Wirkung des „prozessorientierten“ Familienstellens zu überprüfen, habe
ich mit Hilfe eines Selbstbeurteilungsfragebogens versucht, die Befindlichkeit meiner Klienten vor und nach einem Seminar und nach ½ bzw. 1 Jahr zu erfassen.
Der SCL 90 R nach Derogatis8 ist für die Wirksamkeitsprüfung in der Psychotherapie anerkannt und umfaßt 90 Fragen, die 9 Skalen betreffen: Somatisierung, Zwanghaftigkeit, Unsicherheit im Sozialkontakt, Depressivität, Ängstlichkeit, Aggressivität, Phobische Angst, Paranoides Denken und Psychotizismus. Drei weitere Skalen beziehen sich auf die Psychische Gesamtbelastung (GSI), Intensität der Antworten (PSD) und die Anzahl der Symptome (PST).
Für die Untersuchung wählte ich ca. 40 Klienten aus, die vor dem Seminar erhöhte Werte in mindestens 2 Skalen aufwiesen. Für 21 von ihnen konnte ich die Werte vor und nach dem Seminar, nach ½ und nach ca. 1 Jahr gewinnen. 16 Klienten (76,2%) zeigten eine Besserung, bei 4 Klienten (19 %) war keine Veränderung festzustellen und eine Klientin (4,8%) zeigte noch nach einem Jahr eine Verschlechterung – (inzwischen geht es ihr deutlich besser. Ausgelöst durch die Aufstellung hatte sie sich scheiden lassen, das war zunächst ein harter Prozeß!) Für die Berechnung der Mittelwerte wurden alle mit einbezogen.
Die Grafik zeigt den Verlauf der Mittelwerte dieser Gruppe für alle Skalen.

Ergebnis

In allen Skalen zeigte sich eine erhebliche Besserung bereits unmittelbar nach dem Seminar. Die Besserung lag bei 5-8 T-Punkten, eine klinisch signifkante Besserung wird bereits bei   4-5 Punkten angenommen.
Auch für mich überraschend ist der Befund, daß die Veränderung bereits unmittelbar nach dem Seminar auftritt und im weiteren Verlauf im Wesentlichen anhält. Das macht den ursächlichen Zusammenhang mit dem Seminar sehr wahrscheinlich. Und die Wirkung ist offenbar nachhaltig.
Die Tatsache, daß die Besserung alle Skalen betrifft und daß sie anhält, könnte dafür sprechen, daß die Autonomiestörung tatsächlich die zentrale Ursache aller psychischen Störungen darstellt und daß die beschriebene Methode genau hier ansetzt.

SCL90R Effizienz Familienstellen

Zur vergrößerten Ansicht der Grafik bitte auf die Grafik klicken!

Ich habe gut und böse gekannt,
Sünde und Tugend, Recht und Unrecht;
ich habe gerichtet und bin gerichtet worden;
ich bin durch Geburt und Tod gegangen,
Freude und Leid, Himmel und Hölle;
und am Ende erkannte ich,
daß ich in allem bin
und alles in mir ist.
Hazrat Inayat Khan

Dr. med. Ernst R. Langlotz, Januar 2007, München

Literatur

1 Ernst R. Langlotz, Destruktion und Autonomieentwicklung – Ein Beitrag zum Verständnis und zur Behandlung destruktiven Verhaltens, 2006, Praxis der Systemaufstellung 1/2006, S. 46

2 Arno Gruen, Der Verrat am Selbst, die Angst vor Autonomie bei Mann und Frau, dtv dialog und praxis 15016 und Der Wahnsinn der Normalität. Realismus als Krankheit: eine grundlegende Theoorie zur menschlichen Destruktivität. dtv dialog und praxis 15057

3 Stavros Mentzos, Psychotherapie in der Behandlung von chronisch schizophrenen Patienten, „Psychotherapie im Dialog“, September 2003 S. 223-229

4 Alice Miller, Du sollst nicht merken, 1981, Suhrkamp

5 Ernst R. Langlotz, Der Weg aus der Symbiose, und Der Symbiosefragebogen,2005, Systemische Aufstellungspraxis 3/ 2005

6 Christoph Wulf (Hg.) 2005, Die Seele, ihre Geschichte im Abendland, Vandenhoeck & Ruprecht

7 Rupert Sheldrake,  Der siebte Sinn des Menschen, Fischer Verlag

8 Gabriele Helga Franke, SCL-90-R, Symptom-Checkliste von L.R Derogatis. Deutsche Version, 2. Auflage,2002, Beltz Test Göttingen